Retrospektive: Alfred Hitchcock im Babylon Mitte


Filmszene: "The Lodger"

Filmszene: "The Lodger"

Geschickte Verknüpfungen aus Sex, Suspense und einem rabenschwarzen Humor. Trockene, eloquente Dialoge und Protagonisten, die entweder aus moralischer Inkontinenz heraus abscheuliche Stümpereien begehen oder völlig unschuldig in ein Netz aus Intrigen fallen. Vom 17. Juni bis 14. Juli lädt das Babylon Mitte zum stilsicheren Totschlag in die große Hitchcock-Retrospektive.

Als Hitchcock im Alter von 20 Jahren die erste Treppenstufe seiner Karriere als Illustrator in den Paramount Studios in London erklomm, arbeitete er bereits fieberhaft an seinem ersten großen Projekt „Mrs. Peabody„. Allerdings sollte dieser Film aus finanziellen Gründen nie fertiggestellt werden.  Basierend auf dem Roman von Marie Adelaide Belloc Lowndes schaffte er 1927 mit „The Lodger“ seinen Durchbruch. Stark von den Inszenierungen der expressionistischen deutschen Filme der 20er Jahre geprägt, hauchte Hitchcock dem damals vor Konventionen triefenden britischen Kino wirkliches Leben ein. Es sei verraten, dass das Ende melodramatisch und pathetisch gerät. Es sei ebenfalls verraten, dass Hitchcock strikt gegen dieses Ende war, aber der Kampf zwischen Regisseur und Produzent ist so alt wie das Medium Film selbst.

Selbstredend darf die Live-Begleitung bei so einem Streifen nicht fehlen. Neil Brand und Florian Reithner geben sich an den Tasteninstrumenten die Ehre. Gute 20 Jahre später erschien einer der Filme, mit denen Alfred Hitchcock Geschichte schrieb: „Cocktail für eine Leiche„. Hier wird die wahre Geschichte der beiden Amoralisten Nathan Leopold und Richard Loeb, die aus intellektueller Geltungssucht heraus den perfekten Mord begehen wollten, in eine morbide Fiktion überführt, die gleichzeitig Gesellschaftsdrama und nekrophiles Possenspiel ist. Hitchcock wäre nicht Hitchcock, wenn dieser Film nicht mit einem technischen Gimmick aufwarten würde. So wird der Eindruck erzeugt, dass die 80 Filmminuten in einer einzigen Einstellung abgedreht worden sind. Im wahrsten Sinne des Wortes also ein Kammerspiel, bei dem das Buffet der Dreh-und Angelpunkt für die Aufgeblasenheit der anwesenden Gäste stellt. Als Symbol ist dieses Buffet ohnegleichen, denn das es wurde, gleich einem Altar, auf einer Holztruhe errichtet.

Filmszene: "Das Fenster zum Hof"

Filmszene: "Das Fenster zum Hof"

Jetzt kann jeder einmal die Fantasie spielen lassen, was sich denn in der Truhe befindet und welche Assoziationen sich dann aus Wörtern wie das Innere und das Äußere oder das Ideal und das Material erschließen. Sieben Jahre später entstand nach der literarischen Vorlage von Noir-Routinier Cornell Woolrich einer der bekanntesten FIlme von Hitch – „Das Fenster zum Hof„. Hier gelingt ihm der Kunstgriff, den Zuschauer zum Voyeur zu machen und den Voyeur schließlich in Form eines Mordverdachtes zahlen zu lassen, um so den Zuschauer bei der Stange zu halten. Dabei interagieren der Fotograf Jeff (James Stewart als Voyeur) und der Mörder Lars Thorwald (Raymond Burr) bis zum Finale nur indirekt. Der eine weiß vom anderen, kann ihm aber nichts beweisen und ist durch körperliche Gebrechen nicht in der Lage zu recherchieren. Der Andere ahnt, dass jemand ihn beobachtet, nur wissen tut er darum nicht. Das Gegensatzpaar Zweifel und Gewissheit wurde wohl selten so gekonnt in Hauptdarsteller gepflanzt. Von den über 50 Filmen, die Alfred Hitchcock der Nachwelt hinterlassen hat, dürften gute 30 sehenswert sein und gute 20 als Klassiker gelten. Und – nach dem wiederholtem Schauen seiner Streifen, fällt es immer noch schwer, seine Filme in die zwei einzig möglichen Kategorien „einfach aber brilliant“ oder „einfach brilliant“ einzuordnen.

Joris J.

Alfred Hitchcock im Babylon Mitte, 17. Juni bis 14. Juli, Programm unter www.babylonberlin.de