Ein Rückblick auf „Chaplin Complete“


Filmszene: "Der Große Diktator"

Filmszene: "Der Große Diktator"

Smile, though your heart is aching. Smile, even though it’s breaking…“  (Lyrics zum Chaplin Song „Smile“ von John Turner, Geoffrey Parson)

Mit Chaplin kehrt die Magie des Kinos zurück in den Saal und macht Kino zum Gemeinschaftserlebnis. Ein Bericht über ein kleines Sommer-Highlight.

Ausverkauft bis auf den letzten Platz: Sogar die Logenplätze, die meist nur noch als Abstellkammer fungieren, wurden geöffnet, um noch Verzweifelte unterzubekommen, die sich nicht rechtzeitig um Tickets gekümmert hatten und hartnäckig an der Kasse um Karten und nicht vorhandene Plätze feilschten oder sogar versuchten, die Einlasser zu bestechen. Glamourös, super pünktlich und so perfekt wie selten zeigte sich das Babylon mit dem Eröffnungsfilm „The Gold Rush“ und der ersten Orchester-Live-Aufführung (von insgesamt zehn während der Reihe) in seiner historischen Schönheit und mit tadellosem Auftakt zur „Chaplin Complete“-Retrospektive. Nach den üblichen Eröffnungsreden und einer strahlenden Geraldine Chaplin, die mit „Ich bin sehr glücklich, in Berlin mit diesem großartigen Film zu sein.“ akzentfrei das Publikum begrüßte, und versprach, dass man in den kommenden 24 Tagen mit den Filmen ihres Vaters „gleichermaßen lachen, denken und wachsen“ würde, hob sich endlich der Vorhang für die erwartungserfüllten Zuschauer. In wenigen Sekunden brach das erste Gelächter im ganzen Saal los. Ob Studenten, Rentner, Bildungsbürger, Hausfrauen, Geschäftsmänner, Touris, Arties oder junge Familien, Charles Chaplin hatte sie sofort in seiner Hand und charmant um den kleinen Finger gewickelt.

Zwischenapplaus und tränenerstickte Lachanfälle, die Menge schüttelte sich vor Lachen oder raunte und seufzte leise, wenn der Tramp auf Abweisungen oder Leid traf. Weder „Harry Potter“ noch super 3D-Animationen wie „Avatar“ vermögen so zu verzaubern. Mit Chaplin kehrt Leben in den totgesagten Kinosaal zurück und das Ereignis Film wird zum einmaligen gemeinschaftlichen Erlebnis, zum Erfahrungs- und Empathieraum. Nach 72 Minuten verließen die Zuschauer euphorietrunken und gefühlsduselig den Saal. Nicht nur ein wirklich fulminanter Start in drei Wochen Chaplin, sondern auch ein Abenteuer, das sich, zumindest in den zehn großen Live-Orchester-Aufführungen unter der Leitung des renommierten Chaplin Dirigenten Timothy Brock, wiederholen sollte. Im Anschluss an die Eröffnung gleich das nächste Highlight der Reihe, die Open-Air-Aufführung von „The Great Dictator“ vor dem Brandenburger Tor. Fast 80 Jahre nach der Machtübernahme der Nazis und den symbolischen Fackelumzügen durch das Brandenburger Tor, die den neuen Reichskanzler Hitler feierten, schaffte es Chaplin mit seiner Hymne an die Menschlichkeit und der Komödie über die menschliche Tragödie am gleichen Ort das totalitäre Regime zu entwaffnen, bloßzustellen und zu verlachen. Mit seinem Mummenschanz ließ der Mann, der das gleiche Bärtchen trug und der im selben Jahr und Monat wie der deutsche Diktator geboren wurde, nur vier Tage früher, die Puppen tanzen und das Lachen, als Symbol des Lebens und Überlebens, über die Schrecken der Unmenschlichkeit siegen. Gänsehaut, nicht nur der herbstlichen Kälte bei 14 Grad wegen. 1000 Zuschauer hatten bis zum Schluss mit heißem Tee, in warmen Schlafsäcken und auf mitgebrachten Stühlen ausgeharrt. Niemand ließ sich von der ungemütlichen Kühle oder den technischen Pannen, die hin und wieder den Film kurz unterbrachen, vergraulen. Auch hier gab’s Zwischenapplaus und einen befreienden, tosenden Beifall nach Chaplins legendärer Abschlussrede im Film.

1 2