Festivalbericht: new horizons


Selbstbedienung beim Festival; Foto: new horizons

Selbstbedienung beim Festival; Foto: new horizons

Berlinale, schau auf diese Stadt!

Aus Schweinehaut schneidert sich Antonio Banderas in Pedro AlmodóvarsDie Haut in der ich wohne“ eine Liebhaberin zurecht. Mit „It Looks Pretty from a Distance“ gelingt Anna und Wilhelm Sasnal eine ausgezeichnete Nahaufnahme einer dörflichen Idylle in der polnischen Provinz. Nazitruppen aus lauter Zombies werden in „Dead Snow“ von jungen norwegischen Jetski-Fahrern mit der Kettensäge bearbeitet – vom filmischen Standpunkt gesehen gab es auf dem new horizons erwartungsgemäß einiges auf die Augen. Aber es sind auch die strukturellen Unterschiede und Ähnlichkeiten, die eine Reise zum größten polnischen Filmfestival und dessen Vergleich mit dem größten deutschen Filmfestival, der Berlinale, lohnend machen.

Als das 11. international film festival new horizons in Wroclaw (Breslau) am vergangenen Sonntag zu Ende ging, konnte sein Direktor Roman Gutek auf elf Tage mit 483 Filmen und über 100.000 verkauften Tickets zurückblicken. Was die Programmmaße angeht, ist das new horizons der Berlinale also mindestens ebenbürtig. Und auch in Sachen Spartenvielfalt kommt einem einiges bekannt vor. Von einem Hybriden wie dem „Kulinarischen Kino“ hat man in Wroclaw zwar weder gehört, noch schien vergleichbares vermisst zu werden, denn die festivalkinonahe Innenstadt weist eine Restaurantdichte auf, die selbst den unvermeidlichen Filialen von McDonald’s über H&M bis zu Rossmanns kaum Platz zum Atmen lässt. Aber im Festivalprogramm widmeten sich nicht weniger als sieben Retrospektiven der Kinogeschichte mit Werkschauen von Andrzej Munk, Jack Smith oder Bruno Dumont. Fünf Wettbewerbe, vier Nebensektionen, Workshops, weitere so genannte Highlights wie der Länderschwerpunkt Norwegen oder eine Reihe mit Erotikstreifen des japanischen Pink Cinema sorgten ohne Zweifel für Abwechslung. Nicht zuletzt durch weitere mit dem Festival verknüpfte Sonderveranstaltungen wie diverse Ausstellungen, Performances und ein Konzert von Nick Caves wunderbaren Rüpelbluesern Grinderman drängte sich aber auch der schon aus Berlin bekannte Eindruck einer gewissen affektgesteuerten Zerfaserung an.

Ein wesentlicher Unterschied fiel erst bei der abschließenden Preisverleihung ins Gewicht. Manch einem mag zwar ein wenig Glamour in der charmant zurückhaltenden Zeremonie gefehlt haben, dafür drängte sich der Eindruck auf: Hier weiß ein Filmfestival, dass sich auch als Publikumsfestival versteht, seine Prioritäten noch richtig zu setzen. So wurde der Publikumspreis (für Paula Markovitchs „El premio„) an prominenter Stelle, unmittelbar vor dem Hauptpreis, überreicht (der an „Attenberg“ von der griechischen Regisseurin Athina Rachel Tsangari ging). Vor allem aber sind in Wroclaw die Hauptpreise mit einer Verleihgarantie für die Kinos des Gastgeberlandes Polen verknüpft. Nicht zuletzt Festivalgast Terry Gilliam (auch ihm war eine Retrospektive gewidmet) dürfte das nach dem Munde reden, hatte er sich doch kurz zuvor beschwert, dass Festivals zwar „wunderbar“ seien, sie würden ihn allerdings auch „zunehmend deprimieren„. Man hätte, so der legendäre Ex-Monty-Phyton, eigentlich nur noch auf Festivals die Chance, ungewöhnliche, mutige Filme zu sehen. Und so würde sich in dem „wunderbaren Ereignis für einige wenige“ auch die fortschreitende Verarmung der regulären Kinoprogramme „für alle“ widerspiegeln.

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