Festivalbericht Globale 2011

"Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten"


Filmszene: "Noise and Resistance"

Filmszene: "Noise and Resistance"

Debtocracy“ ist ein sehenswerter Film, da er nicht den Fehler begeht, in populistisches Geheule zu verfallen und gleichzeitig faktensatt an ein wichtiges, aber höchst komplexes Thema heranführt. Aufgelockert wurde das Programm am letzten Festivaltag mit Julia Ostertags „Noise and Resistance„, das als kleiner Punkrock-Almanach angelegt ist und die verschiedenen europäischen Punkrockszenen beleuchtet. Als Musikdokumentation durchaus gekonnt, war der politische Mehrweit durchwachsen. Es ist mehr als nur nett zu hören, dass 50 Prozent des Publikums bei schwedischen Punkrockkonzerten weiblich ist. Es ist mehr als nur bedenklich zu hören, das russische Musikliebhaber um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie denn ein Konzert besuchen. Aber der Gedanke einer Squat, eines besetzten Hauses, ist doch im Angesicht der veränderten ökonomischen Bedingungen veraltet. Für die Mehrheit stellt das eingangsbeschriebene Einfamilienhaus mit Garten und geregelten Arbeitszeiten doch gar keine Option mehr da. Arbeitsverträge dauern heute im Schnitt einige Jahre. Das heißt: Zu der anhaltenden Existenzangst gesellt sich eine ambivalente Liquidität, mit der es wirtschaftlich unmöglich ist, langfristige Kredite aufzunehmen.

Das Leben bleibt zwar leer, ist aber mit Sicherheit ereignisreicher. Genau dort könnte eine Kritik beginnen. Genau dort müssten alternative Lebensvorstellungen gesucht werden. Laut der Dokumentation ist aber jeder ein Spiesser, der fließend Wasser und Elektrizität sein Eigen nennt. So wurde man als Zuschauer mit einem unangenehmen Beigeschmack in die anschließende Gesprächsrunde geleitet, in der eine Zuschauerin nur beklagte, das die russische Punkrockszene zu männerdominiert sei und nicht etwa, dass das Neonaziproblem in Russland alarmierend ist und das Gewaltpotential groteske Ausmaße annimmt. So war das Publikum hier besonders selbstergriffen. Die Musik stimmte aber.

In einer Welt wie dieser, ist das Geld nur noch Messinstrument für Knappheit. Knappheiten führen zu Wettkämpfen, zu einem Vergleich von Leistungen mindestens zweier natürlicher oder juristischer Personen, die um ein Gut ringen, das insofern nur knapp ist, als es nicht für beide reicht. Der Wettkampf kennt deshalb nur Sieg oder Niederlage – keinen Kompromiß, keine Verständigung und ist, wenn man nach der lexikalen Defintion des Wortes geht, somit asozial. Außerdem ist es eine irrationale Veranstaltung, weil a priori niemand den Sieger kennt und deshalb auch nicht die siegbringenden Mittel. Niemand kann die angemessensten Mittel a priori kennen, niemand kann den Ausgang rational prognostizieren. Der Ausgang ist somit ein Gottesurteil – archaisch und für Menschen des 21.Jahrhunderts unwürdig. Die Globale hat mit wirklich guten Filmen und einer tollen Atmosphäre ihr Scherflein dazu beigetragen, weltweites Misswirtschaften aufzuzeigen ohne allzu sehr mit dem pädagogischen Zeigefinger herumzuwedeln. Sehr angenehm.

Joris J.

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