Festivalbericht zum 60. Internationalen Filmfest Mannheim-Heidelberg

Die Söhne Mannheims


Dominic Wright, Schauspieler Colin Morgan, Festivaldirektor Dr. Michael Kötz (v.l.n.r)

Dominic Wright, Schauspieler Colin Morgan, Festivaldirektor Dr. Michael Kötz (v.l.n.r)

Das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern

Ganz anders zwei starke Beiträge aus dem Wettbewerb, die sich mit dem Verhältnis von Kind und alleinerziehendem Elternteil auseinander setzen: In „Im Freien Fall“ („Lek wysokosci„) dient dem polnischen Regisseur Marcin Dorocinski das eigene Familiendrama als Vorlage. Berührend inszeniert er, wie sich der vom Vater emanzipierte Tomek diesem im Moment der Krankheit wieder nähert und doch an den aggressiven schizophrenen Zügen des Erzeugers zu verzweifeln droht. Anders im finnischen „Der Gute Sohn“ („Hyvä Poika„) von Zaida Bergroth. Im Drama der Regisseurin steht das spezielle Verhältnis von Schauspielerin Leila zu Ilmari, dem älteren ihrer beiden Söhne im Zentrum. An der Grenze zum Erwachsensein drängt ihn die wankelmütige, egozentrische Mutter in die Rolle des Familien-Oberhaupts, die sie selbst, die eher lustbetont lebt, nicht füllt. Irritiert, welche Rolle die eigene nun sein soll, entgleiten dem jungen Mann die Mittel. Einerseits den mütterliche Schutz suchend, andererseits für die Mutter schwärmend und sich über die kindliche Liebe zur Mutter hinaus zu dieser hingezogen fühlend, lässt die indifferente Beziehung von Leila zu einem neuen Mann an ihrer Seite die Situation eskalieren. Packendes Festivalkino!

Ebenso wie „Nr. 89 in der Shimen Straße“ („Hei bai Zhao Pian„) von Haolon Shu, dem stärksten aus einer ganzen Reihe chinesischer Filme, die sich in den verschiedenen Festivalsektionen tummelten. Der Filmemacher aus Shanghai siedelt seine Geschichte im Sommer 1988 in seiner Heimatstadt an. Im Zentrum seiner Geschichte steht der 16-jährige Schüler und Hobby-Fotograf Xiaoli, der bei seinem Großvater aufwächst, nachdem sich seine Mutter in die USA abgesetzt hat. Er ist unglücklich verliebt in die hübsche, ältere Nachbarin Lanmi, die in ihm aber nur einen kleinen Bruder sieht und seine Zuneigung nicht erwidert. Lanmi ist getrieben vom Wunsch genau dahin zu wollen, wo Xiaoli hin soll: In den Westen, nach Amerika. Ganz anders die politisch aktive Lili, das neue Mädchen in Xiaolis Schule. Sie schwärmt für den Jungen, weil der sich weigert, das im Geschichtsunterricht Gelehrte anzuerkennen. Mit Hilfe von Xiaolis schwarz-weißen Aufnahmen erzählt Regisseur Haolom Shu über die Proteste in China Ende der 80er Jahre und zeichnet ein Bild dieser sich (bis heute) wandelnden Gesellschaft. Dies gelingt Shu deutlich besser als seinem Kollegen und Landsmann Xiongjie Gao mit dem langatmigen „Wangliangs Traum vom Glück“ („Wangliang de Lixiang„), der in der Sektion „Internationale Entdeckungen“ am Beispiel eines unglücklich verheirateten Paares die gleiche Thematik beackert.

In der gleichen Sektion findet sich das stärkste Werk der Festivaltage von Mannheim und Heidelberg: „Zusammen Allein“ („Collaborator„) vom Kanadier Martin Donovan, der Buch, Regie und eine der beiden Hauptrollen in seinem Kammerspiel übernimmt. Darin entwickelt sich aus einem Besuch bei Muttern für den Schriftsteller Robert Longfellow (Donovan) eine tragische Reise in die eigene Vergangenheit, als ihn der beste Freund seines verstorbenen Bruders aus Kindertagen im eigenen Haus als Geisel nimmt. Die Begegnung wird sein Leben verändern. Pointiert, klug und mit Hilfe vieler überraschender Wendungen inszeniert Donovan seinen „Zusammen allein“ und erschafft so ein sehr feines Psychogramm der beiden Protagonisten, die nur selten Gegenspieler sind.

Colm Meaney in "Parked"

Colm Meaney in "Parked"

Nachdem schon zu Beginn des Festivals Andreas Dresen mit dem Masters of Cinema Award für sein Schaffen geehrt wurde, war es schließlich an der internationalen Jury, in der sich Regisseurin Granaz Moussavi, Frédérique Westhoff (vom Media-Programm der EU) und Regisseur Hans-Christoph Blumenberg auseinandersetzten, „Parked“ von Darragh Byrne zum Siegerfilm zu küren und mit dem Großen Preis des 60. IFF Mannheim-Heidelberg auszuzeichnen. Die Jury begründete wie folgt: „Die Jury hat es sehr bewegt, wie meisterhaft ein Regisseur in seinem Erstlingswerk eine Geschichte über die unerwartete Freundschaft zweier gegensätzlicher Charaktere zu erzählen vermag. Feinsinnig entfaltet die Erzählung unterschätzte Werte von Randgruppen in einer bürokratischen Gesellschaft, die zunehmend darin versagt, Menschenwürde wiederherzustellen und zu pflegen.“ Als weitere große Gewinner durften sich Sebastián Borensztein aus Argentinien und Sébastien Pilote aus Kanada fühlen. Borensztein und sein Film „Un Cuento Chino“ („Chinese zum mitnehmen„) gewannen sowohl den Publikums- als auch Rainer Werner Fassbinder-Preis in Mannheim, Pilotes „Le Vendeur“ („The Salesman„) heimste den Spezialpreis der Jury und den Preis der internationalen Filmkritik der FIPRESCI-Jury ein.

Denis Demmerle

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