Andrzej Wajda Werkschau

Weil es Drohungen integriert


Andrzej Wajda, 1969, Foto: Filmoteka Narodowa

Andrzej Wajda, 1969, Foto: Filmoteka Narodowa

Das Kollektiv ist ein durch seine Geschichte gründlich desavouierter Begriff. In neueren Sozialtheorien spielt er eventuell noch die Rolle eines Schreckgespenstes. Es steht für Anti-Individualismus und nicht selten auch für eine pauschale Abwendung von der Aufklärung und den Prinzipien der Französischen Revolution. Dennoch diente das Spannungsfeld Kollektiv-Individuum nicht selten als dramaturgisches Rückgrat dem italienischen Neorealismus und somit Regisseuren wie Roberto Rossellini („Rom, offene Stadt„, 1945), Luchino Visconti („Besessenheit„, 1943) oder Vittorio De Sica („Fahrraddiebe„, 1948).

Es war in erster Linie ein „moralischer Begriff„, so Roland Barthes, der „genau das als Wirklichkeit darstellt, was die bürgerliche Gesellschaft sich bemüht zu verbergen„. Der italienische Neorealismus übte nicht nur auf die Nouvelle Vague und den amerikanischen Dokumentarfilm, sondern auch auf die polnische Filmschule enormen Einfluss aus. Waren es im italienischen Neorealismus noch rührend einfache Geschichten, die den Lebenswandel von Arbeitern und Bauern aufzeigten, so war das Hauptthema bei den polnischen Kollegen der Mensch gegenüber der Geschichte (oder dem Kollektiv), sein sinnloses und dennoch zwingendes Heldentum. Die Geschichte wurde als Katastrophe betrachtet, die wie ein Fatum die Tragödie des Einzelnen wie auch der ganzen Gesellschaft bestimmt. So wurde stets tiefpsychologisch, nicht selten obsessiv, die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges analysiert. Einer dieser Filmemacher ist Andrzej Wajda, dessen Gesamtwerk vom 2. bis 30. Dezember an verschiedenen Spielorten in Berlin und Potsdam (so das Kino Arsenal, Zeuhauskino, Hackesche Höfe Kino und das Filmmuseum Potsdam) zu sehen sein wird.

Im Kino im Allgemeinen steckt gegenüber der Malerei mehr Gesellschaft als Könnerschaft. Anders lässt es sich nicht erklären, dass „Schindlers Liste“ (1993) von Steven Spielberg seiner Zeit zu einem gesellschaftlichen Ereignis wurde und Andrzej Wajdas „Karwoche“ (1995), wenn überhaupt, nachts in dritten Programmen des deutschen Fernsehens läuft. Spielbergs Film steht als Metapher dafür, wie man Verantwortung gegenüber der Geschichte akzeptiert, ohne einen radikalen Bruch zu provozieren oder um es zugespitzt zu formulieren: Tragik ohne Fatum. Wajdas Film möchte genau auf das Gegenteil hinaus und erspart seinen Zuschauern die tröstlichen Lügen der popular culture, die im besten aller Fälle auf etwas hinaus möchte, was ein Sujet wie die Shoa per se in die Geschmacklosigkeit stürzt: das Genrekino.

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