Andrzej Wajda Werkschau

Weil es Drohungen integriert


Filmszene: "Der Mann aus Marmor"

Filmszene: "Der Mann aus Marmor"

Die Holocaustfilme der letzten Jahre waren dadurch verbunden, dass sie immer einen Rest von Identifikation, von Rettung und Erlösung bewahrten und als eine Art Märchen gesehen werden konnten. Es gelingt also, was dem solitären Kunstwerk auch im Kino nicht gelingen kann: Das Retten der visuellen Erinnerung für Menschen in unserer Kultur, die für die Kunst nicht bereit oder sogar verloren sind. Aber bleiben wir bei der Kunst. Besonders verdient gemacht haben sich polnische Filmemacher stets mit der sublimen Transkription literarischer Stoffe und deren verbaler Ebene in feine Bilderkompositionen. Das bewegte Bild wurde Dank Ihnen zu einem denkenden Bild. In Wajdas „Der Mann aus Eisen“ (1990) gibt es eine kurze Sequenz, die bereits im „Mann aus Marmor“ vorgesehen war und dort, 1976, der Zensur zum Opfer fiel: Die Filmemacherin Agnieszka (Krystyna Janda) sucht das Grab des 1970 von der Miliz ermordeten Arbeiters Sirkut; irrt dabei zwischen Grabkreuzen umher und steckt schließlich ihre Blumen zwischen die Eisenstäbe des Friedhofstors.

Im ersten Film hatte diese Szene noch einen anderen Stellenwert: Agnieszka recherchiert für ihren Film über den in der Ära Stalins hochgejubelten und später in Ungnade gefallenen Arbeiterhelden Birkut, gegen Ende trifft sie, auf der Lenin-Werft in Gdansk, Birkuts unehelichen Sohn Maciek Tomczyk und erfährt von ihm, dass sein Vater tot ist. Im „Mann aus Eisen„, der die Jahre 1976 bis 1980 behandelt, ist Agnieszka arbeitslos, mit Maciek (Jerzy Radziwilowicz) bereitet sie eine Fotoausstellung über Birkut vor und besucht zu diesem Zweck den Friedhof. Die Montage Wajdas ist ein Mosaik, die darin besticht, Brechungen und Rückschläge im historischen Kontinuum aus inszenierte und in Szene gesetzter dokumentarischer Wirklichkeit einzufangen. Der Blick der Kamera ist auch Wajdas Blick im Jahr 1980, der Blick eines Polen in ein Gestern, das auch im Erfolg noch Gegenwart ist, weil es Drohungen integriert.

Joris J.

„Andrzej Wajda – bekannt und unbekannt“, 2. bis 30. Dezember 2011, Kino Arsenal, Zeuhauskino, Hackesche Höfe Kino, Filmmuseum Potsdam, www.filmpolska.de

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