Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im Dezember

Crowdfunding ist eine andere Art von Stress


Anna Theil und Daniel Saltzwedel

Anna Theil und Daniel Saltzwedel

Kulturschaffende unterstützen sich gegenseitig

Theil zu Behn: Ich hatte den Eindruck, euch hätte das crowdfunden richtig Spaß gemacht. Deshalb hat das Projekt so gut funktioniert.

Behn: Der Spaß ist ein Grund, warum ich das Festival so gerne mache. Per Definition des Genres können wir machen, was wir wollen. Das Schöne am Crowdfunding ist, dass wir nicht mit Sponsoren gegenchecken müssen, ob dieser oder jener Film zu krass ist. Genau wie mit den Events, mit denen wir die Filme begleiten, die nicht jedermanns Geschmack treffen dürfen. Der Sinn ist, dass wir transgressiv sind. Dazu muss man frei sein.

Lass: Wer sind denn eure Spender? Wie setzen die sich zusammen?

Behn: Zu einem Drittel waren es Freunde, Familie und Bekannte, der Rest ist generisch gewachsen. Wir begannen mit Crowdfunding-ähnlichen Aktionen, haben Bekannte zu uns eingeladen, um Filme zu sichten, die wir eventuell zeigen wollten. Diese Leute hatten gemeinsam, dass sie Geld haben. Damit akquirierten wir ad hoc circa 700 Euro. Das war, was wir brauchten, um überhaupt irgendetwas zu starten. Anschließend luden wir zu einer Karaoke-Fundraising-Party und konnten dank der gesammelten Gelder mit unserer monatlichen Filmreihe beginnen. Dieses Mini-Budget reichte für Miete und Transport von zwei Filmen. So konnten wir uns ausprobieren.

Lass: So konntet ihr auch schon ein Publikum fürs Festival gewinnen.

Behn: Genau, die Filmreihe lief das dreiviertel Jahr vorher.

Theil: Мomentan befindet sich Crowdfunding in Deutschland noch in der Nische. Viele Kulturschaffende unterstützen sich gegenseitig. Das liegt daran, dass das Thema noch nicht so weit in der Masse, der Crowd, angekommen ist.

Lass: Es muss Ziel einer Website wie startnext sein, dass sich dort Leute umsehen, die Projekte unterstützen wollen.

Beatrice Behn vom International Comedy Film Festival Berlin

Beatrice Behn vom International Comedy Film Festival Berlin

Behn: Es gilt das Ganze zu etablieren und zu erklären. Mutti konnte sich unter Crowdfunding oder einer Finanzierung durch die Masse nichts vorstellen. Wenn die Leute das System verstehen, interessieren sie sich auch dafür. In ein paar Jahren könnte es aus sich selbst heraus klappen.

Theil: In den USA muss man es niemandem mehr erklären. Jeder weiß, wie es funktioniert. Wir bewegen uns in anderen Rahmenbedingungen.

Lass: Umso größer die Summen, die zu erzielen sind, umso spannender wird das. Ich habe gerade meinen zweiten Langfilm abgedreht. Wieder ein No-Budget-Projekt mit Filmemachern, die das einfach gerne machen – aber das lässt sich nicht zwanzigfach wiederholen. Irgendwann möchte jeder Geld und irgendwann möchte ich mein Team bezahlen können. Während ich bei einer Förderung verschiedene Gremien überzeugen muss, beschreibe ich beim Crowdfunding mein Projekt der Öffentlichkeit. Werden Filme gefördert, die kein Drehbuch haben?

Saltzwedel: Es ist nahezu ausgeschlossen.

BFF zu Saltzwedel: Du sitzt als Vertreter des Medienboards Berlin-Brandenburg hier, also des regionalen Förderers. Wie nehmt ihr Crowdfunding wahr?

Saltzwedel: Erst mal sehr positiv, weil der Markt ein zusätzliches Finanzierungsinstrument hat. Es ist das erste Finanzierungsmodell der Filmindustrie, beim dem durch das Internet Geld zurückkommt. Bisher brachte das Internet nur ein Modell hervor: Nämlich, dass Filme im Netz geschaut werden können. Häufig für lau, also illegal. Dadurch ist aber keinem Filmemacher geholfen. Schwierig könnte sein, dass dadurch noch mehr Filme hergestellt werden, die nicht gesehen werden. Es wird diskutiert, ob nicht ohnehin zu viele Filme gemacht werden, da ist Crowdfunding wie Öl ins Feuer gießen. Das System verwehrt einem Macher mangels Perspektive die Gelder, der aber findet Möglichkeiten, den Film doch zu machen. Mich beeindruckt andererseits, dass Crowdfunding gleichzeitig ein Publikum mit aufbaut. Man zieht sich so seine ersten 250 Zuschauer, die beim nächsten Mal auf 1.000 anwachsen. Filme, die wir mit 200.000 Euro fördern, erreichen im Kino manchmal auch nicht mehr.

Ins Gespräch vertieft

Ins Gespräch vertieft

Behn: Crowdfunding testet auch die Idee am Markt. Prüft, ob sie Sinn macht. Das umgeht die anschließende Erkenntnis manch anderen Projekts, das im Nachhinein feststellen muss, dass es die Leute da draußen nicht interessiert.

Saltzwedel: Das ist mir total sympathisch. Seit zwanzig Jahren stellen Förderinstitutionen den Produzenten die Frage: Wer ist euer Publikum? Teil des Förderantrags ist ein Marketingplan, ein Verleih muss im Boot sein. Diese Elemente sind auch gefordert, um den Blick aufs Publikum zu lenken. Gleichzeitig wird aber Geld vergeben und oft reicht die Motivation nur dahin, die Institution zu befriedigen, ohne sich tatsächlich Gedanken über den Markt zu machen. Will die Institution mehr, kriegt sie mehr – aber das verändert nicht das Denken. Das würde wohl erst einsetzen, wenn die Institutionen nicht mehr da sind. Im Gegensatz dazu kultiviert Crowdfunding ein Denken, das sich mit dem Markt auseinander setzt. Institutionell haben wir kurzfristig mit Crowdfunding wenig zu tun. Wir hatten bisher zwei Projekte, bei denen Geld von erfolgreichem Crowdfunding enthalten war. Aber das ist für uns strukturell genau so Geld, wie das, das von der Oma kommt.

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