Festivalbericht Cinema! Italia! 2011

Festivalbericht 2011: Eindringlichkeit und leuchtende Bilder


Filmszene: "Happy Family"

Filmszene: "Happy Family"

Die Camorra zeichnet sich hier nicht durch ein Auftreten mit schwarzen Anzügen und noch schwärzeren Limousinen aus – und es gibt auch keine majestätischen Villen, wie sie beispielsweise in der „The Godfather„-Trilogie dominieren. Stattdessen ist der Chef der Camorra ein fetter, alter Sack, der in einem verlassenen Supermarkt auf einem ranzigen Sofa residiert, den ganzen Tag italienische Backwaren in sich reinstopft und mit einer Fistelstimme Anordnungen an seine Lakaien mit zu kurz geratenen Muscle-Shirts und Bling-Bling-Gürteln verteilt, die diese dann per Mofa zu absolvieren versuchen. Indem „Into Paradiso“ mit einer derartigen Ironie und einem Augenzwinkern in mindestens jeder zweiten Filmszene die Probleme Italiens illustriert, vermag der Film mehr Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit zu versprühen, als man es bei einer Komödie zunächst annehmen würde.

Während in Neapel also die Camorra durch die Straßen braust, geht es in Mailand wesentlich gediegener und zugleich unwirklicher zu. Ezio (Fabio De Luigi) ist ein latent depressiver Drehbuchautor, der in „Happy Family“ (Gabriele Salvatores) eine Geschichte über zwei aufeinandertreffende Familien niederschreibt, die unterschiedlicher nicht sein könnten und deren Figuren immer mehr zum Leben erwachen und sich verselbstständigen. Die beiden jüngsten Sprösslinge Filippo (Gianmaria Biancuzzi ) und Marta (Alice Croci), beide gerade einmal 16 Jahre alt, beschließen zu heiraten und so kommt es zu einem Abendessen der anderen Art, bei dem die italienischen Upperclass-Eltern von Filippo auf die eher schwächer gestellten Eltern von Marta treffen. Ezio als Erfinder der Geschichte hat es sich selbst nicht nehmen lassen, sich ebenso in die Fiktion hinein zu basteln und sich in die schöne Schwester von Filippo zu verlieben. „Happy Family“ verzaubert mit einer leuchtenden Bildästhetik, der direkten Ansprache des Zuschauers durch die Figuren und kann sogar mit einigen philosophischen Lebensweisheiten über Familie und Liebe aufwarten. Durch den krebskranken Vater Vincenzo (Fabrizio Bentivoglio), die komplexbehaftete Tochter Caterina (Valeria Bilello) und all die anderen neurotischen Charaktere kann man sich als Zuschauer allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass Regisseur Gabriele Salvatores sich ein bisschen zu häufig an Wes Andersons „The Royal Tenenbaums“ bedient hat und dessen Geschichte nun auf italienisch nacherzählt.

Ganz so happy geht es in „La prima cosa bella„, dem oscarnominierten Film von Paola Virzì und gleichzeitigem Gewinner des Wettbewerbs jedoch nicht zu. Indem der Film zwischen 1971 und der Gegenwart hin- und herspringt, erzählt er die Geschichte einer Mutter, deren Leben in jungen Jahren von ihrer atemberaubenden Schönheit, der Unfähigkeit ihre Kinder zu erziehen und einem prügelnden Ehemann markiert ist. Anna (Micaela Ramazotti) versucht Karriere zu machen und ihren Kindern ein schönes Leben zu bieten, scheitert letztlich jedoch an ihren Aufgaben und findet sich in der Gegenwart als krebskranke alte Frau (Stefanie Sandrelli) wieder, die zumindest nicht ihre Lebensfreude verloren hat. Als der Film am Samstagabend im Babylon gezeigt wird, ist der Andrang – wie eingangs schon angedeutet  – gigantisch. Vor der Kasse, die von einer einzigen Frau betreut wird, welche sich allerdings durch nichts aus der Ruhe bringen lässt, schieben und drängeln sich die Leute hin- und her, von links und rechts krakeelen hörbar viele Italiener durch den Raum und man wird das Gefühl nicht los, sich für ein Boybandkonzert angestellt zu haben.

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