Festivalbericht One World 2011

Festivalbericht One World 2011: Polemik und Pop


Szenen: "In Free Fall"

Szenen: "In Free Fall"

Die Rolle der Medien bei der Inszenierung von Konflikten und Katastrophen wird am radikalsten in den Filmen des britischen BBC-Regisseurs Adam Curtis und in den Projekten der deutschen Künstlerin Hito Steyerl verhandelt. Adam Curtis schöpft aus dem Fundus des gesamten BBC-Archivs und verknüpft in seiner Reihe „All Watched Over By Machines Of Loving Grace“ (2010) die Bereiche Ideologie und Technik zu erschütternden Katastrophenszenarios. Hito Steyerl geht mit ihren Projekten noch weiter. In ihren Filmen „November“ (2004) und „In Free Fall“ (2010) überschneiden sich Realität und Fiktion so stark, dass eine Differenzierung unmöglich wird. Der Filmessay „November“ rekonstruiert, wie ihre Freundin Andrea Wolf zur PKK-Kämpferin wurde und dabei den kulturellen Code des Pin Ups zu verkörpern beginnt. „In Free Fall“ bricht hingegen mit allen Sehgewohnheiten. So fragt der ernsthafte, israelische Soziologe plötzlich in die Kamera:“Ist das gut so? Spiel ich das gut so?“ und erschüttert damit das Mittel des Interviews zur Beschreibung von Authentizität.

Einsam und monolithisch ragt „Into Eternity“ (2010) aus dem Filmprogramm des One World Festivals heraus. Die sphärischen Kamerafahrten und meditativen Ansprachen an zukünftige Generationen tragen dazu bei, dass Michael Madsens Dokumentation sehr viel mehr ist als ein simpler Film über ein finnisches Atomendlager. „Into Eternity“ bannt die Frage „Wie konnten wir uns jemals auf die Sicherheit der Atomenergie verlassen?“ eindrucksvoll auf Zelluloid. Kunst und Experiment bleiben allerdings beim One World Festival die Ausnahme. Meist geht es eher darum, globale Missstände unmittelbar erfahrbar zu machen, sie aus ihrer systemischen Abstraktion zu befreien – das Einzelschicksal bestimmt den filmischen Verlauf. „Wir sind keine Journalisten“ stellen deshalb auch gleich mehrere Regisseure klar. Die wichtigsten dieser persönlichen Geschichten beschäftigen sich 2011 mit Südamerika.

Die Leinwand ist schwarz, nur abgehackte Radiosendungen sind zu hören, dann wieder Störrauschen. In Manuel Ruiz Montealegres und Hector Ulloque Francos „Meandros“ (2010) ist das Radio überlebenswichtig, weil sich die Sicherheitslage von einer Minute auf die andere ändern kann: Seit Jahren wird die Bevölkerung in der Region des kolumbianischen Flusses Giuviare zwischen den Fronten des Drogenkrieges zerrieben. „Meandros“ zeigt, wie die Bewohner ihren Lebensmut und ihre Courage behalten, auch wenn permanent ein Radio läuft.

Weniger subtil und auch weniger wirkungsvoll erscheint hingegen Pamela Yates und Paco de Onis „Granito“ (2010). Die Rekonstruktion und der Kampf um die Anerkennung des guatemalischen Genozids an der eigenen, indigenen Bevölkerung 1982/1983 wirken eigentümlich kitschig, da Pamela Yates sowohl als Erzählstimme als auch als Protagonistin auftritt. Ganz anders „Raising Resistance“ (2011) – der im Rahmen der AlimenTerre-Reihe im Acud gezeigt wurde – über den Kampf der paraguayischen Campesinos gegen Landnahme und Sojaanbau: Hier nehmen sich die Regisseure Bettina Borgfeld und David Bernet soweit zurück, dass die globalen Zusammenhänge nur stichpunktartig in kurzen Textfragmenten abgebildet sind.

Filmszene: "LoveMEATender"

Filmszene: "LoveMEATender"

Die angeregte Diskussion, die dem Film folgt, unterstreicht die tiefe Wirkung des paraguayischen Aufstandes. Sie demonstriert aber auch, wie sehr das Thema „Ernährung“ die Besucher des One World Festival emotionalisiert. Fast alle Beiträge der AlimenTerre-Reihe (von „Taste the Waste“ bis hin zu „LoveMEATender„) thematisieren Moral und Ethik und fordern dazu auf, die eigenen Ess – und Lebensgewohnheiten gründlich zu hinterfragen.

Die vielen Filme und Fragen des One World Festivals führen dazu, dass man sich ausgiebig mit Konflikten und vermeintlichen Gegebenheiten beschäftigt – Antworten vermag das Festival jedoch keine zu geben. „Lauter Fragen – aber wo sind die Lösungen?“ fasste dann eine Zuschauerin des „Raising Resistance„-Films ihre Ratlosigkeit in Worte. Am Ende hilft alles nichts und der Kinobesucher ist gezwungen, die cineastischen Erkenntnisse hinaus in die reale, verwirrende Welt zu tragen, um dort weiter nach Antworten zu suchen.

Marie Ketzscher

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