Interview mit Filmkritiker Oliver Baumgarten

"Eine gute Filmkritik hat literarischen Wert"


Oliver Baumgarten

Oliver Baumgarten

Der Filmkritiker Oliver Baumgarten ist Programmleiter des Talent Press-Programms, eines der sieben Hands-on training programmes für Nachwuchstalente auf dem Berlinale Talent Campus. Als Mitbegründer der Filmzeitschrift „Schnitt“ weiß er, was dazu gehört, um ein guter Filmkritiker zu werden.

Herr Baumgarten, Filmkritiker sind nicht immer beliebt bei Filmschaffenden und für viele gehören sie erst recht nicht zum Kreise der Filmbranche, warum gibt es dennoch das Programm Talent Press auf dem Campus?
Es stimmt, zwischen Filmemachern und Journalisten gibt es immer gewisse Reibungspunkte. Trotzdem – oder gerade deshalb gehört für mich der Filmkritiker zum ganzen Filmzirkus dazu. Und das sieht die Leitung des Campus zum Glück genauso.

In Frankreich ist ja eine ganze Generation von Filmemachern aus der Gruppe um das Cahiers du Cinéma entsprungen, wo sehen Sie in Deutschland Anknüpfungspunkte zwischen Journalismus und Film?
Wie gesagt, Reibungspunkte sind immer da, aber genau das sind eben auch die Schnittstellen. Das liegt aber meiner Meinung auch oft daran, dass eine Kritik entweder von Seiten der Filmemacher als persönlicher Angriff missverstanden wird oder tatsächlich so geschrieben wurde, dass sie dem Film nicht gerecht wurde. Damit meine ich, dass sie vielleicht zu wenig fundiert, zu wertend oder zu inhaltslastig war.

Was müssen die Teilnehmer denn an Vorkenntnissen mitbringen, die beim Talent Press-Programm dabei sein wollen?
Zunächst einmal die Liebe zum Film, das ist ganz wichtig und vereint eigentlich alle, die an dem Programm beteiligt sind. Dann ist natürlich eine gewisse Praxis im Publizieren wichtig. Ein guter Teil der acht Teilnehmer, die wir jedes Jahr haben, sind über Onlinemagazine oder Blogs zum Schreiben gekommen. Da muss man dann ansetzen und erst einmal klar machen, was der Unterschied zwischen Print- und Online-Journalismus ist.

Und der wäre?
Onlinepublikationen – und hier meine ich insbesondere Filmblogs – sind sehr viel kurzlebiger, persönlicher und zentrierter geschrieben als eine Filmkritik, die in einem Printprodukt erscheint. Da geht es um einen wesentlich distanzierteren Tonfall.

Ist Print denn anspruchsvoller als Online?
Das würde ich so nicht sagen. Eine gute Filmkritik – egal, wo sie publiziert wird – muss einen literarischen Wert haben.

Was erwartet die Teilnehmer in den sechs Tagen des Talent Press-Programms?
Wir versuchen mit allen Mitteln, die Umgebung eines echten, tagesaktuellen Redaktionsalltags zu schaffen. Das heißt, die Teilnehmer kommen morgens hier an, meistens stehen dann natürlich erst einmal die Filmvorführungen im Vordergrund. Dann geht es darum, Interviews beim Talent Campus zu führen, oft auf Englisch, sowie die Deadline einzuhalten. Die ist täglich um 18 Uhr. Bis dahin muss der Text geschrieben und mit unseren Experten diskutiert werden. Die Texte werden dann auch online publiziert, auf Talentpress.org, der Seite des Goethe-Instituts und von FIPRESCI. Außerdem wird ein Best-of der Texte am Ende in gedruckter Form erscheinen.

Was sind das für Experten?
Internationale Filmkritiker wie Stephanie Zacharek und Chris Fujiwara aus den USA, Dana Linssen aus den Niederlanden und ein Brite, Derek Malcolm. Wir üben die drei klassischen Textsorten mit den Teilnehmern: Kritik, Interview sowie die klassisch-journalistische Berichterstattung von beispielsweise einem Event oder einer Podiumsdiskussion.

Ein voller Redaktionstag also.

Richtig, dazu muss man noch bedenken, dass viele Teilnehmer noch nie in Deutschland und noch nie auf einem A-Filmfestival waren – eine tolle Erfahrung für alle, die am Campus beteiligt sind.

Interview: Cosima M. Grohmann