Rückblick auf die transmediale im Jahr 2012

Wer kreist hier eigentlich um wen?


Marcel Schwierin, Foto: Jekaterina Petrova

Marcel Schwierin, Foto: Jekaterina Petrova

„Satellite Stories“ ruft in seinen divergenten Programmen neben der Frage Mensch und/versus Technik nämlich noch ganz andere Deutungsoptionen hervor: Mensch in/compatible Mensch? Mensch in/compatible Gesellschaft, gar, Mensch in/compatible System? „Der Mensch schafft sich seine eigene, hochkomplexe und technisch dominierte Umwelt. Ob Architektur, Ökonomie, Verkehr, ja sogar Kleidung, es stellt sich die Frage ob der Mensch überhaupt noch Dinge entwirft, die zum ihm kompatibel sind oder ob er nicht mehr und mehr in den Zwang kommt, selbst kompatibel zu dem von ihm geschaffenen Produkten zu werden.„, so Marcel Schwierin. Ein ergiebiges Feld. Und so sehen wir neben hochpolitischen Filmen („Satellite, As Long As It Is Aiming At The Sky“ von Babak Afrassiabi & Nasrin Tabatabai, NL 2010), in welchem die iranische  Exilgemeinschaft versucht, über Satellitenfernsehen und pittoreske Studiohintergründe nicht nur ihre kulturelle Identität zu wahren (in Form von einem Teppich-Teleshop), sondern auch mit Hilfe des Mediums direkt Einfluss auf die Politik in ihrer Heimat zu nehmen, auch die ein oder andere komische Perspektive auf das Thema. Definitiv liebstes Beispiel: „The Experience of Fliehkraft“ (Till Nowak, D 2011). Nowak gestaltet Aufnahmen diverser Fahrgeschäfte hier digital so um, dass aus den vertrauten Adrenalin-Maschinen lebendige Monster mit Greifarmen werden, Power-Tower ins schier Unendliche wachsen, Menschen in den Fängen überdimensionaler Spaß-Zentrifugen hysterisch kreischen. „Stardust“ (Nicolas Provost, US/BE 2010) besteht hingegen aus heimlich aufgenommenen, dokumentarischen Bildern aus Las Vegas. Durch eine neu vorgenommene Synchronisation, Musik und geschickte Montage, verwandeln sich unauffällige Passanten so in Protagonisten eines mafiösen Hollywood-Thrillers. Ähnliche Spiele zwischen Bild und Ton, die wohl größte (In)Kompatibilität des Mediums Film, gibt es auch in „Das Badezimmer“ (Bjørn Melhus, D 2011) zu sehen: Mit der deutschen Stimme Alfred Hitchcocks wird in einer ominösen Villa, voll mit Hirschgeweihen und ausgestopften Tieren, der Trailer zu „Psycho“ neu inszeniert. Wunderbar auch – der gelungene Morph eines deutschen Heimatfilms mit „Apocalypse Now“ in „The Sound of the End of Music“ (People Like Us, UK 2010).

Insgesamt bilden die einzelnen Programme von „Satellite Stories“ eine besondere Collage: Einerseits der aus der Zeit gefallen zu scheinende, tägliche Eröffnungsfilm aus den späten 80er/frühen 90er Jahren, welcher aufgrund seiner eigenen „Rückständigkeit“ zu einem Zeugnis technischer (In)Kompatibilitäten wird. Andererseits die vielfältigen Umgangsformen zeitgenössischer Videokünstler – wenn nicht selbst dieser Begriff schön völlig anachronistisch ist. Die Beispiele sind erschreckend, aufrüttelnd wie „The Fire Theft“ (Isabelle Hayeur, CA2010), in welchem der Mensch als Fremdkörper in groß angelegten Immobilienspekulationen dargestellt wird, als störendes Element, dass es zu entfernen gilt. Durchbrochen werden jene Episoden durch unterhaltsame, fast komödiantische Filmbeispiele oder kontemplative Werke, wie das wunderschöne  „544/544 (up/down)“ (Thomas Mohr, NL 2011), „The Story of Milk and Honey“ (Basma Al Sharif, PS 2011) oder „Farewell“ (Stefan Zeyen, D 2009).

So richtig schlau wird man aus dem transmediale Programm nie. Und auch „Satellite Stories“ bildet da keine Ausnahme. Allerdings – wer erwartet das schon? Zu groß ist der Themenkomplex, der in seinen besten Momenten Raum für lose Assoziationen schafft, kleine Erleuchtungen generiert. Und so wächst der Marcel-Schwierin-Fanclub Jahr um Jahr. Wer beobachtet, wie viele Künstler nach jedem Screening zum Kurator mit der soften Stimme stürmen – man muss sich um das Material folgender Jahre nicht sorgen.

Carolin Weidner

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