Interview mit Moritz Bleibtreu
Macht ist ein Spiel
In „Die Vierte Macht“ spielt Moritz Bleibtreu einen Klatschreporter, den es nach Moskau verschlägt. Seit er Mitte der 90er Jahre mit Rollen in „Stadtgespräch„, „Knockin’ On Heavens Door“ und vor allem Tom Tykwers „Lola rennt“ bekannt wurde, gilt er als einer der wichtigsten deutschen Schauspieler. Im Gespräch gibt der Sohn des Schauspielerpaares Monica Bleibtreu und Hans Brenner Auskunft über die Macht der Presse, die politische Qualität der Piraten und die Tücken der Demokratie sowie seine Entscheidung Kino statt Fernsehen zu machen.
Herr Bleibtreu, Sie spielen in „Die vierte Macht“ einen Boulevardjournalisten, den es nach Moskau verschlägt. In Russland wo der Film spielt und Sie teilweise drehten, ist der Missbrauch dieser Macht bekannt. Wie hat das die Dreharbeiten beeinflusst?
Wir haben vieles in der Ukraine gedreht, weil es in Russland einfach nicht zu drehen gewesen wäre. In der Ukraine wusste niemand, wovon der Film handelt, sonst hätten wir auch dort unter Umständen Probleme bekommen. Aber ich glaube, dass die Vernetzung aus medialer und politischer Macht kein Phänomen von totalitären Regimen ist. Diese Strukturen gibt es bei uns in anderer Form auch.
Sehen Sie die Zustände in Russland tatsächlich so nah an den deutschen?
Man kann die Zustände dort sicher nicht mit unseren direkt vergleichen. Aber dass mediale Einflussnahme eine riesige Rolle innerhalb der Politik spielt, ist bei uns auch so. Sicher hat das in einem Land wie Russland ganz andere Ausmaße und Konsequenzen, aber die Verbindung ist da. So etwas wie Demokratie von einem Land mit der Geschichte wie Russland zu erwarten, ist an sich schon gewagt. Und es ist einfach zu sagen, solche Probleme gäbe es bei uns nicht. Trotzdem glaube ich, dass Macht ein Spiel ist, dessen Regeln immer irgendwie gleich sind. Ob in Russland oder bei uns.
Wobei in Russland die Verfehlungen schon eine andere Qualität haben…
Absolut. Aber das hat damit zu tun, dass ihnen gegenüber uns 50 Jahre fehlen, um einen Apparat aufzubauen. Die Russen wurden mit der großen Freiheit der Demokratie von uns überfallen. Alles, was sich seitdem entwickelt, geschieht im Blitztempo. Daher hinkt der Vergleich.
Sehen Sie die Presse tatsächlich als eine „Vierte Macht„?
Oh ja! Vielleicht müsste die Presse sogar – wenn man die Mächte in eine Rangfolge bringen wollte – einen Platz nach oben rücken. Die Medien sind aus dem machtpolitischen Spiel nicht wegzudenken. Sehen Sie sich die USA an, das Mutterland der kaputten Demokratie, wo gerade einmal zwei Parteien von reichen, mächtigen Leuten auf den Thron gehoben werden. Ohne eine Popularisierung durch die Medien wäre das nicht möglich. Ein Programm oder eine Idee alleine reichen nicht. Ich finde zum Beispiel einige der grundsätzlichen Ideen der Piratenpartei gar nicht so realitätsfremd.
Sind Sie Piraten-Wähler?
Ich habe noch nie in meinem Leben gewählt. Aber zumindest finde ich die unkonventionelle Herangehensweise neu und interessant.
Sind die Piraten eine Alternative für Politikverdrossene?
Auf jeden Fall ist es interessant zu sehen, dass da einige Leute völlig undogmatische und neue Wege gehen wollen. Das bringt auf jeden Fall Farbe ins graue Spiel.
Und Sie sind wirklich noch nie wählen gegangen?
Nein. Ich werde es wohl auch nie tun und bin dafür schon gescholten worden. Wie kann jemand mit meiner Vorbildfunktion nicht wählen gehen, heißt es dann. Natürlich streite ich erstmal jede Vorbildfunktion ab. Ich bin kein Vorbild, sondern ein Schauspieler. Meine erste Wahl in Deutschland habe ich verpasst. Ich bin mit 17 aus Deutschland weg und mit 21 zurückgekommen. Mir fehlt diese erste Entscheidung, welches Lager ich unterstützen will. Nach meiner Rückkehr habe ich nie verstanden, was mir das wirklich bringen soll. Ich glaube nicht an das kleinere Übel, ich will mich nicht für ein kleineres Übel entscheiden. Damit wäre meine persönliche Freiheit doch schon stark eingeschränkt. Ich muss doch zu 100 Prozent von etwas überzeugt sein, um dahinter zu stehen. Das hat mir nie eine Partei ermöglicht.
Also müssten Sie Befürworter von Volksentscheiden und direkter Demokratie sein.
Natürlich! Wie sonst soll gelebte Demokratie funktionieren? Demokratie macht nur dann Sinn, wenn sie genau so funktioniert. Mit Freiheit hat sie wenig zu tun. Hast du zehn Leute, von denen sechs Blau gut finden und vier Rot und wir machen es Blau, dann bleiben immerhin vier von zehn, die trotzdem Rot wollen. Was machen wir mit denen? Das sind nicht so wenige. Die westliche Welt versucht, Demokratie als Freiheit zu verkaufen, was aber nicht stimmt. Das ist nur bis zu einem gewissen Grad so. Demokratie kann nicht über Repräsentanten als Sprachrohre funktionieren, sondern nur über alle. Jeder muss die Sachlage als solche beurteilen. Vom Gesetzesentwurf bis zu Kindergärten. Die Frage ist, wie kann das gehen? Das wäre schon in Deutschland mit seinen 80 Millionen Menschen schwierig, aber wie will das China machen?!? Doch rein idealistisch betrachtet, müsste das der Weg sein.