Rückblick auf das Berlin Documentary Forum 2

Der Mensch zwischen den Fremdwörtern


Harun Farocki (rechts) im Gespräch mit Klaus Wildenhahn nach der Aufführung von "Heiligabend auf St. Pauli" , Foto: Foto: Marcus Lieberenz

Harun Farocki (rechts) im Gespräch mit Klaus Wildenhahn nach der Aufführung von "Heiligabend auf St. Pauli", Foto: Marcus Lieberenz

Lernt man eines im Haus der Kulturen der Welt ziemlich schnell, dann ist es das Packen von Stullenpaketen. Jedenfalls scheint jener damit gut beraten, der binnen vier Tagen, zwischen Grillwurst, Edelwraps und Schaumwein, ungern seinen Dispokredit sprengt.  Ebenso empfiehlt es sich als vorbereitende Maßnahme seine geisteswissenschaftlichen Kompetenzen aufzufrischen.

Hier ein wenig Foucault, da ein Salamibrötchen und dem täglich zwölfstündigen Programm steht nichts mehr im Wege.  Dann ist man bereit für die intellektuelle Dokumentarfilmprominenz zwischen Moosen, Farn und Kanzleramt, die mithilfe der Begriffe Kontingenz und Kontrolle den Stand der aktuellen Dokumentarfilmpraktik zu verorten sucht. Und das, so erfährt man sehr bald, ist keine leichte Aufgabe. Dennoch ist der Theatersaal des HKWs zu fast jedem Veranstaltungspunkt rappelvoll. Es scheint viele Suchende zu geben, die bereit sind, dem mehrtägigen Diskurs zu lauschen, auch wenn man nicht umhin kommt, sich zu fragen, wie viele Seminargruppen eigentlich anwesend sind.

Der Eröffnungsabend beginnt hingegen „harmlos“, wenn man das so nennen kann und den thematischen Inhalt von seiner Zugänglichkeit koppelt. Die Performance „The Pixelated Revolution“ von Rabih Mroué kommt fast ohne theoretische Schwergeschütze aus, lediglich ein wenig Kenntnis des Dogma 95 ist erfordert, um die humorigen Passagen Mroués nicht nur merkwürdig zu finden. Denn „The Pixelated Revolution“ befasst sich mit der Rolle von Social Media im Kontext der gegenwärtigen syrischen Aufstände. Mroué scheut sich dabei nicht, vermeintlich abwegige Zusammenhänge zwischen TV-Kamera mitsamt Stativ und dem aktuell-revolutionärem Gestus Handykamera zu verknüpfen, um politisches Filmmaterial zu analysieren. Resultat dieser holprigen, aber doch verständlichen, naheliegenden und irgendwie auch eleganten Verknüpfung ist ein kleiner Aha-Moment, der sicher mehr Menschen im Gedächtnis bleiben wird, als so manch kluges Geschwurbel.

Denn verweisen die Referenten ein ums andere Mal auf ihren „theoretischen Werkzeugkasten“, ist die einfache, prägnante und direkte Darstellung Mroués unterm Strich doch ein erhellender Moment, den man sich im Verlauf des Berlin Documentary Forums häufiger herbeisehnte.  Nicht minder erregend dann „Framing Death – How to Shoot One’s Crime“, die dreitägige Vortragsreihe von Sylvère Lotringer, der sich Kollege Johannes Bennke intensiver zugewandt hat, und in welcher man erproben durfte, wie viele Leichen pro Abend individuell verkraftbar sind. Dieser Tatsache und ebenfalls der späten Uhrzeit geschuldet, findet der letzte Teil des Eröffnungsabends in lauschiger Wohnzimmeratmosphäre statt: „Dead Birds“ (USA 1964, Robert Gardner).

Die diesjährigen Kampfbegriffe des BDF, Kontrolle und Kontingenz, treten spätestens am zweiten Tag in Harun Farockis sechsstündiger Veranstaltung auf und sind fortan nicht mehr abzuschütteln. Farocki schafft es jedoch, seine Vorträge vom sperrigen Überbau zu befreien und eine durchweg sympathische und interessante Reihe zu präsentieren. Geht es anfänglich um den befreundeten Regisseur Petzold und seinen 2007er Film „Yella„, den Farocki mit seinem eigenen Dokumentarfilm „Nicht ohne Risiko“ verschränkt und so der Broker-Pose neuen Aufwind beschert, werden Teile der Darbietung im weiteren Verlauf immer stärker mit eigenen Regieanweisungen wie „Um mal nen Zusammenhang zu schaffen hier“ garniert. „Vom Zufall geschenkte Momente“, erklärt Farocki poetisch seine Arbeit als Dokumentarfilmer und ähnlich ergeht es auch dem Zuhörer, dem jene Momente durch solch Gelassenheit beschert werden. An seine Grenzen stößt Farocki jedoch im Gespräch mit Klaus Wildenhahn, nach der Aufführung von „Heiligabend auf St. Pauli“ (BRD 1968).

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