Rückblick auf das größte Animationsfilmfestival der Welt

Annecy is not the movies, it’s Annecy


Ein herrlich absurdes Plädoyer gegen die Schwerkraft: "The Centrifuge Brain Project" von Till Novak

Ein herrlich absurdes Plädoyer gegen die Schwerkraft: "The Centrifuge Brain Project" von Till Novak

Im Gegensatz zu den Preisgewinnern unter den Langfilmen honorierte die Jury mit der tschechisch-französischen Ko-Produktion „Tram“ (Michaela Pavlátová, 2012) einen amüsanten Kurzfilm, der sich mit einer Straßenbahnfahrerin und ihren erotischen Fantasien befasst: Die Tramfahrt zum weiblichen Orgasmus ist gleichzeitig der Beginn einer absurden Liebesgeschichte, farblich und musikalisch sowie rhythmisch stimmig unterlegt. Mit „Tram“ wurde außerdem ein Film ausgezeichnet, der auf seine wesentliche Grundidee fokussiert und die richtigen Bilder für die Geschichte wählt, die er eigentlich erzählen will. Viele Filme des Kurzfilmwettbewerbs verloren sich hingegen in undurchsichtigen Metaphern, ästhetischen Spielereien (die eher an Musikvideos gemahnten) oder endlosen Wiederholungen. Positive Ausnahmen waren unter anderem die russische Ameisenodyssee „Chinti“ (Natalia Mirzoyan, 2012), die vom Heimweh einer Ameise nach dem Taj Mahal erzählt; der deutsche Beitrag „The Centrifuge Brain Project“ (Till Nowak, 2011), einem herrlichen absurden Plädoyer gegen die Schwerkraft; die englische Tragikgroteske „Moxie“ (Stephen Irwin, 2011), über das Leben eines suizidalen Bären oder der südkoreanische Film „Herstory“ (Jun-Ki Kim, 2011) der in ambitionierter und ehrenhafter Weise dem tragischen Phänomen der „Comfort Women“ im Zweiten Weltkrieg nachspürt.

Am fünften und letzten offiziellen Tag des Wettbewerbs hatte die Stimmung in den Kinosälen ihren Höhepunkt erreicht: die Geräuschkulisse, die den Annecy-Trailer begleitete, war durch Stimmimitationen aus dem Publikum, wildes Gackern und rhythmisches Klatschen geradezu animalisch aufgeheizt und blieb es, bis der Annecy-Hase wieder zu sehen war. Der Abstand zwischen dem Kinobesucher und dem Film auf der Leinwand, er war so klein geworden, dass er kaum mehr spürbar war: Das Kino war endgültig zum familiären, interaktiven Erlebnis geworden. „You’ll come back“ sagen viele, die jedes Jahr wieder hierher kommen. Man könnte stattdessen auch einfach schreien: „Le Lapin!“

Persönliches Addendum der Autorin:
Annecy wäre nicht Annecy ohne seine abendlichen Freiluftscreenings, die herrliche Lage am Lac d’Annecy, das durchaus wechselhafte Wetter und die diversen Empfänge verschiedener Ländern und Firmen (darunter die legendäre finnische Reception mit Sauna am See), bei denen man nicht umhinkommt, tolle Menschen kennenzulernen. Immer noch in Trance…

Marie Ketzscher

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