Interview mit Frédéric Beigbeder

Wir sind verdorben


Marc Marronnier (Gaspard-Proust) mit seiner baldigen Exfrau Anne Elisa Sednaoui. Foto: Prokino

Marc Marronnier (Gaspard-Proust) mit seiner baldigen Exfrau Anne Elisa Sednaoui. Foto: Prokino

Frédéric Beigbeder gilt neben Michel Houellebecq als wichtigster zeitgenössischer Autor Frankreichs. Internationale Aufmerksamkeit erfährt Beigbeder seit seines 2001er-Romans „99 Francs“ (dt. „39,90“). Darin verarbeitet der studierte Politikwissenschaftler aus gutem Hause seine Zeit als Texter bei einer Werbeagentur, die ihn nach Erscheinen seines Debüts „Memoiren eines Sohns aus schlechtem Hause“ engagierte. Nachdem Jan Kounen 2007 eben jenes „99 Francs“ verfilmte, nahm er sich seinem Roman „Die Liebe währt drei Jahre“ selbst an und führte erstmals Regie. „Das verflixte 3. Jahr“ feierte beim Filmfest in München (hier unser Bericht) seine Deutschland-Premiere. Im Interview berichtet Beigbeder über seine autobiografischen Arbeiten, die Unmöglichkeit der Liebe und die Schwierigkeit, jemanden zu finden, der ihn selbst spielen kann.

Monsieur Beigbeder, in Ihrem Film „Das verflixte 3. Jahr“ und dem zugrunde liegenden Buch findet sich viel Privates von Ihnen. Allerdings rätselt man dabei ständig, was Fakt und was Fiktion ist…
Das ist es, was ich an autobiographischer Arbeit und Tagebüchern mag: Es ist ein Spiel mit dem Leser, mit Fiktion, aber auch mit Realität. Darin liegt ja das Problem der heutigen Literatur. Wir verlangen nach Wahrhaftem und stellen uns die Frage, ob der Autor lügt oder nicht. Das hat sich seit den 50ern so entwickelt. Ich weiß auch nicht warum. Selbst in Amerika musst du heute in deinen Büchern über dein Privatleben erzählen, ansonsten ist es langweilig. Es gibt Ausnahmen wie Harry Potter, der nicht über sein Sexualleben spricht. Ansonsten gehört es zum Kino und zu Büchern dazu, auch in Deutschland. Ich spiele mit meinem eigenen Leben, stelle es öffentlich aus und entblöße mich, aber ich verändere auch stark. Viele Dinge, die im Buch vorkommen, sind mir nie widerfahren. Meine Eltern sind nicht wie die des Protagonisten Marc. Sie sind deshalb auch ziemlich sauer. Meine Mutter sagt, sie habe nie solch dumme Bücher geschrieben und mein Vater ärgert sich über die Viagra-Geschichten. Nicht alles ist wahr.

Was hat Sie damals zu Ihrem Roman „Die Liebe währt drei Jahre“ inspiriert?
Meine Scheidung! Ich war viel zu jung, als ich das erste Mal heiratete. 25. Verrückt. Nach drei Jahren endete das Märchen abrupt, wir berührten uns nicht mehr. Wenn sie mich mit ihrer Hand berührte, fühlte sich das an, als würde sie einen Gummihandschuh tragen. Davor hatte ich Angst. Dieser Gummihandschuh, mit dem sonst geputzt wird, ist ein Symbol für das Ende jeder Leidenschaft. Er sagt dir, dass du wegrennen musst. Deshalb schrieb ich das Buch.

Teilen Sie denn die Einschätzung Ihrer Hauptfigur Marc Marronnier, dass Liebe nur drei Jahre überdauert und dann zu Ende ist?
Ich habe das Buch ja bereits vor 15 Jahren geschrieben, diese Frage konnte ich damals nicht beantworten und ich kann es auch heute nicht. Mir ist wichtig, mein Problem zu analysieren – und dass ich dafür bezahlt werde, finde ich cool.

Einerseits erzählen Sie von der Unmöglichkeit der Liebe, andererseits gibt es den Wunsch und die Sehnsucht nach der ewigen Liebe. Woher kommt diese Sehnsucht?
Ohne diesen Wunsch solltest du dich umbringen. Deshalb versucht sich Marc zu Beginn des Filmes aufzuhängen. Wir sind Teil einer Generation, die Angst vor der Liebe hat. Wir sind verdorben – oder wenigstens ich bin es. Ich bin ein Kind der Bourgeoisie und will, dass alles einfach ist. Der Film ist eine Komödie über diese Generation, die gleichzeitig furchtbare Angst vor Schmerz und auch vor Romantik hat. Davon handeln auch Fernsehserien, die ich mag. „Californication“ zum Beispiel. Da gibt es diesen Typen, der lieben will, aber jeden Abend mit einer anderen Sex hat. Wie können wir glücklich verliebt sein, in einer hedonistischen Welt voller Freiheit und Sehnsüchte? Ich mag, was Pascal Bruckner dazu im Film sagt: „Wir lieben die Liebe und keine Personen.“ Wenn du in die Liebe verliebt bist, kannst du nicht nur eine Person lieben.

Ist das denn eine Generationenfrage? Unsere Großeltern waren schließlich noch sehr lange verheiratet…
Auf jeden Fall, das verursacht die Gesellschaft. Meine Großeltern zum Beispiel haben sich vielleicht in andere Personen verliebt, blieben aber zusammen. Das hat mit Religion zu tun, mit Familie und mit der Bourgeoisie. Die Gesellschaft war anders, Menschen unternahmen Anstrengungen, um zusammen zu bleiben. Jetzt sind wir einen Klick bei Facebook davon entfernt, zu sehen, wer hier in der Nachbarschaft verfügbar ist. Ich kann genau sehen, wo draußen viele Mädchen auf mich warten. Via GPS. Das ist aufregend, wobei ich nicht weiß, ob es auch ein Fortschritt ist. Über diesen Zustand mache ich mich lustig, als Schriftsteller ist das mein Job.

Die Frage ist, ob die Beziehungen damals besser waren …
Ich behaupte nicht, dass es besser ist, dein ganzes Leben mit jemand zu verbringen, den du hasst. Als so genannter ‚Künstler‘ reflektierst du, was gerade passiert. Als Billy Wilder Filme machte, gab es „Das verflixte 7. Jahr„, heute sind es drei. Vielleicht verringert sich das in den nächsten beiden Jahrzehnten auf einen Monat. Einige meiner Freunde wechseln jede Woche ihre Beziehung, andere jeden Tag. Im Film stehen die beiden Freunde von Marc dafür. Einer ist fällig und heiratet, der andere wechselt ständig und wird am Ende schwul. Es ist eben alles möglich. Wenn du jeden Tag mit einer anderen Person Sex haben willst, ist das heute okay. Nur für Dominique Strauss-Kahn ergaben sich daraus einige Schwierigkeiten.

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