Rückblick auf die „David Lynch Conference“

Genug Schatten


Der Highway symbolisiert eine Reise nach Nirgendwo oder in den Tod, Filmszene: "Lost Highway", Senator

Der Highway symbolisiert eine Reise nach Nirgendwo oder in den Tod, Filmszene: "Lost Highway", Senator

Es gibt Menschen und Dinge, Regisseure und ihre Filme. Es gibt auch mal mehr, mal weniger gut beleumundete Filmdarsteller und die Kunstform des Kinos, die sich auf ihrem Weg zu Geld und Vergnügen täglich mehr verfälscht. Die Furcht, die andauernde, erotische Furcht, dass die goldenen Träume jederzeit den Boden unter den Füßen verlieren könnten, sind wohl der Stoff aus dem die Möbiusbänder David Lynchs gemacht sind. Ende Juni fand in der Volksbühne die „David Lynch Conference“ statt. Die erste ihrer Art in Europa. Da der Eintritt frei war, der Konferenzraum gut klimatisiert und die Sonne nur von Wolken in der Größe von Mädchenhänden zurückgehalten wurde, gestaltete sich die Platzsuche am ersten Tag recht schwierig. So saßen nebeneinander Filmstudenten, freischaffende Künstler, Mütter mit brüllenden Kindern und Kollegen der Vortragenden.

Wolfram Bergandes Vortrag „Erratic Humor In David Lynch´s Later Film Work“ wurde stillschweigend aufgenommen. Wahrscheinlich traute man sich nicht nachzufragen, ob die Suche nach erratischem, also verstreutem, verirrtem, wenn man so will zufälligem Humor im Werke Lynchs nicht schon wieder erratisch ist. Das gelungenste Bonmot Bergandes war allerdings, dass er den Versuch unternahm, anhand von Lacan nachzuweisen, das Fred Madison (Bill Pullman) seine Frau Renée (Patricia Arquette) im Film „Lost Highway“ deshalb umbrachte, weil er ad hoc eine Frau sein wollte. Abgesehen von seinem autistischen Satzbau, ist Lacans größtes Vermächtnis an seine Nachwelt die Fähigkeit das Inkommensurable in etwas kommensurables zu transformieren. Ganz beziehungslose Dinge werden dadurch vergleichbar und kompromißfähig. Das entbehrt widerum nicht einem gewissen Humor, macht sein Werk als Diskursfundament aber in etwa so fest wie Hefeteig. Es plustert sich auf um bei der Frage „Was soll das eigentlich?“ wieder im Nichts zu verschwinden.

Die sich anschließenden Vorträge von Samuel Weber und Andreas Cremonini waren von ähnlich thetisch-setzerischer Struktur. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger blieben sie aber pointenfrei. Am nächsten Tag lag der Schwerpunkt bei der Genrekomposition und der Intermedialität. Obwohl man mit Michel Chion einen illustren Vortragenden gewinnen konnte, bot der gesamte Tag wenig Gewinnbringendes. So redet Thomas Elsaesser über den Aspekt Los Angeles, Stefan Höltgen originellerweise über „Media and Experience“ und Thomas Becker über „Lynch´s Twins“. Dagegen lieferte Daniel Kothenschulte am letzten Tag einen herausragenden Vortrag ab: „Lynch seen through photographs, darkly“. Bei Lynch vergisst man gerne das Offensichtliche. Bekannt geworden ist er nicht für wasserdichte, gut konstruierte Drehbücher und seine Geschichten scheinen vom reinen Erzählen her, nie mehr als durchschnittlicher Kriminal- oder Schmonzettenschund zu sein. Lynchs Interesse für Psychoanalyse, egal ob nun freudscher, jungscher oder lacanscher Prägung, dürfte über die gelegentlich Lektüre nicht wesentlich hinausgehen. Was ihn ausmacht, ist dieses enorme Gespür für Aus- und Beleuchtung. Seine Charaktere sind allesamt orthochromatische Säulen. Man vergisst vollständig den Schauspieler. Dieser ist nun Ornament in einem bandförmigen Puzzle. Kurz: Lynchs Fundament ist die Fotografie.

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