Rückblick auf Recontres Internationales 2012

Festivalrückblick 2012: Und nebenan eine Food-Performance


Gelungene Verschränkung zwischen experimentellen und dokumentarischen Elementen: "My Dubaï Life" von Christian Barani, Foto: Rencontres Internationales Paris/Madrid/Berlin

Gelungene Verschränkung zwischen experimentellen und dokumentarischen Elementen: "My Dubaï Life" von Christian Barani, Foto: Rencontres Internationales Paris/Madrid/Berlin

Das Festival Recontres Internationales Paris/Berlin/Madrid war 2012 mit dem Vorsatz gestartet, neue Ansätze zwischen dokumentarischer und experimenteller Filmkunst auszuloten, herauszustellen, ja, sicht- und fühlbar zu machen. Material bildeten hierbei mehr als einhundert Filme, gesammelt  von Nathalie Hénon und Jean-Francois Retting, die, ambitioniert gebündelt in fast zwanzig Themenblöcken, den eingeläuteten Diskurs bebildern sollten. Zu welchem Ausgang das Ganze gekommen ist, wird in diesem Text leider unbeantwortet bleiben. Denn: So richtig verstanden, was uns die beiden Kuratoren mit ihrer Auswahl denn nun sagen wollten, habe ich nicht. Mag sein, dass es an dem nicht ganz leicht zu verstehenden Englisch-Französisch-Mansch der beiden gelegen hat, der die einführenden Worte zu jedem Block auf dem Weg von Mund zum Zuschauerohr mit unfehlbarer Sicherheit abhandenkommen ließ. Möglicherweise wäre aber auch ein konstantes achtstündiges Programm mit anschließendem Diskussionsinput vonnöten gewesen, um Recontres Internationales auf die Schliche zu kommen. Wahrscheinlich, so hoffe ich zumindest, ist diese Spekulation aber auch gar nicht so wichtig, denn ein paar schöne Filme zu sehen gab es, Verständnisproblem hin oder her, dennoch.

Möchte man ehrlich sein, muss allerdings auch zugeben werden, dass jener „schöne Film“ streckenweise ähnlich schwer aufzuspüren war, wie der Schlüssel zum theoretischen Überbau der Veranstaltung an sich. Beginnend mit dem Eröffnungsabend, der nach zwei Stunden Dämmerschlaf meiner Begleitung, doch einen beachtenswerten Film auf die Leinwand des HKW-Auditoriums zu bringen vermochte. Stunden zuvor konnte man indessen einen wesenhaften ältlichen Mann auf Eisschollen tanzen, meditieren, besonders aber fühlen sehen. Großartig in „Ice Dream“ (Christian Merlhiot & Daniel Larrieu, Frankreich 2011): Die eingefangenen Geräusche von marschierenden Gummistiefeln auf Schnee, feuchten Wiesen und Kieselsteinböden bei klirrender Kälte. Die Erinnerung an diese Soundkulisse ist jedoch auch unabkömmlich, möchte man die anschließenden sechs Minuten „Your country doesn’t exist“ (Libia Castra & Ólafur Ólafsson, Spanien/Island/Italien 2011) überstehen, der eine stimmgewaltige Sopranistin gondelnd durch Venedigs Wasserstraßen zeigt, die weltaufklärerische Pamphlete in diversen Sprachen schmettert.

Aber wie versprochen, nach zwei Stunden wird es interessant. „My Dubaï Life“ (Christian Barani, Frankreich/Vereinigte Arabische Emirate 2011). In der kleinen Broschüre als experimenteller Dokumentarfilm beschrieben, macht er vielleicht am deutlichsten, welchen Effekt eine gelungene Verschränkung zwischen experimentellen und dokumentarischen Elementen hervorzubringen vermag – eine Steigerung der eh schon imposanten Aufnahmen mittels künstlerischer Handschrift. Pragmatisch betrachtet ist „My Dubaï Life“ ein gelungenes Stadtportrait eines Ortes, dessen Künstlichkeit sich kaum in Worte fassen ließe. Gefühlsmäßig aber schafft es Barani, die sich vermeintlich widersprechenden Teile aus indischen Bauarbeitern, Disco-Titten-Champus-Tempel, abgerissenen Wohnsiedlungen und beispiellosen städtebaulichen Aspekten ein unbehagliches Empfinden zu kreieren. Wie mild der Himmel über dem Tiergarten sein kann…

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