Rückblick auf Recontres Internationales 2012

Festivalrückblick 2012: Und nebenan eine Food-Performance


An diese erweckenden sechzig Minuten denke ich die kommenden Tage häufiger, wenn Flimmerbeiträge in gefühltem Filmhochschul-Experimentalfilm-Workshop-Stil  im Fünfminutentakt den Theatersaal  mitsamt Insassen zermürben. Wer einen gewissen Hang zu solch Darbietungen spürt, sollte sich ärgern, den Block „Hypercinema“ verpasst zu haben. „Possessed“ (Fred Worden, USA 2010) lässt in seinem leicht variierten Endlosloop eines auf Hollywood-Footage starrendes Footage-Mädchen zwar genügend Zeit, um über Beweggründe von Regisseur Worden zu sinnieren, findet seinen Höhepunkt aber, wenn die letzte Filmsekunde abgelaufen ist. Ähnlich verfährt möglicherweise auch Gregg Biermann in „Labyrinthine“ (USA 2010), dessen ineinander-geschachtelte „Vertigo„-Bildausschnitte sich unaufhörlich über die Leinwand schieben. Prinzip nach einer Minute begriffen, hypnotisierender Effekt nach drei Minuten eingesetzt. Die restlichen elf: ertragen. Herrliches aber gab es auch hier zu sehen. Zum Beispiel Georg Tillers „Vargstimmen – After a Scene by Ingmar Bergman“ (Österreich 2010), der das Setting einer Meeresklippe mit Soundkulisse, Kamerafahrten etc. nachinszeniert, jedoch auf ein Detail verzichtet: Schauspieler. Oder Eli Cortinñas Hidagos Found-Footage-Collage „Confessions with an open curtain“ (Spanien/Deutschland 2011), der mithilfe Bette-Davies-Tonspur und epischen Rück(en)ansichten diverser Schauspielerinnenkörper made by Studiosystem doch sehr verführend wirkte, insbesondere nach den über fünfzig Hitler-Darstellern, wenige Minuten zuvor in „Conference“ (Norbert Paffenbichler, Österreich 2011). Beim Verlassen des Saales erwartet mich eine Food-Perfomance im Café, ach, du ausgeflipptes HKW!

Ganz ruhig, richtig ruhig, ja, totenstill ward es dann in dem gesonderten Programmteil „Carte Blanche“, verliehen an den kanadischen Filmkünstler Mark Lewis. Kein einziger Ton dringt aus den Lautsprechern, während Lewis‘ höchstsubjektive High-End-Aufnahmen mehr und mehr Dimensionen entfalten. Tatsächlich, schwer zu beschreiben, aber vielleicht hilft ein visueller Beweis, dessen Erprobung an dieser Stelle höchstempfohlen sei. Resümierend: Schocker des Festivals, zurückzuführen auf die aktuellen Berliner Witterungsbedingungen, ist eindeutig „Storm“ (Gaetano Liberti, Italien 2011). Größte Attacke auf das emotionale Zuschauerempfinden – Trief! Kitsch! – „Tiong Bahru“ (Christine Molloy & Joe Lawlor, Irland/Singapur 2010) mit Streicher-unterlegten Close-Ups, süßen Babys im Wald und existenziellen Fragen vor blühender, feinster Technicolor-Kulisse und großem Applaus. Schönster Super-Acht-Beitrag: „Wherever was never“ (Vivian Ostrovsky, Frankreich/USA 2011) und abschließender Filmausschnitt.  Gelernt: Verstehen hilft nicht immer.

Carolin Weidner

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