Doku.Arts im Zeughauskino

Von diesem Blickwinkel aus


Dokumentieren im Film bezieht sich, wenn es gekonnt ist, auf den Unterschied zwischen Voyeurismus und Neugier, auf das Sehen-Wollen und das Erkennen-Wollen, auf den Widerspruch zwischen mitleidigem Sadismus und dem, was Brecht das solidarische Miterleben nannte. „Nach Hause zu gehen, ist sehr wichtig für einen Künstler. Das Schwierigste bei diesem Dokumentarfilm war, den Moment einzufangen, wenn seine Bilder etwas Wesentliches bekommen. Weil ich aus Taiwan stamme und das Leben und den Dialekt in China nicht kenne, war ich wie ein Kind, aber von diesem Blickwinkel aus, wurde alles lebendig.“ erkennt der Regisseur Yao Hung-I bei seiner Arbeit zu seinem ersten Langfilm „Hometown Boy„. Der schweifende Blick des Filmemachers, der aufmerksam Alltagsbeobachtungen und Aufnahmen seines Heimatortes Jincheng in der Provinz Liaoning festhält, in die er nach 30 Jahren Abstinenz zurückkehrt, wurde 2011 mit dem Golden Horse Award geehrt.

Manchmal muss der Film am Ende sein Subjekt verkennen. Die Versuchung zum Unterhaltsamen ist zu groß, und nur wenige setzen weiterhin auf Intelligenz und noch wenigere auf Einfühlungsvermögen. 2007 ernannte die Sydney Dance Company die 29-jährige Choreographin Tanja Liedtke zu ihrer ersten neuen künstlerischen Leiterin nach 30 Jahren. Bevor sie sich dieser großen Herausforderung jedoch stellen konnte, wurde sie mitten in der Nacht von einem LKW angefahren und verstarb. 18 Monate nach ihrem Tod begeben sich ihre Mitarbeiter mit Liedtkes Werken auf Welttournee. Sie müssen sich mit ihrer Trauer auseinandersetzen. Dank bisher unveröffentlichter Interviews, privater Aufnahmen sowie ansprechender Videomitschnitte und Filmausschnitte, die Liedtkes künstlerischen Arbeitsprozess dokumentieren, ist Bryan Masons „Life in Movement“ ein Streifen über die Kraft und Zerbrechlichkeit der kreativen Bewegung und das Leben. Dass das Genre Dokumentarfilm heute seine dogmatischen Selbstbegrenzungen verliert, mag man billigen, aber die neue Freiheit bedeutet auch eine Programm-Flexibilität, die das mediale Floaten allzu leicht machen. Deshalb bedarf es guter kuratorischer Arbeit, damit der Zuschauer nicht den Eindruck gewinn,t auf einem weiteren Youtube-Channel gelandet zu sein. Hier ist es gelungen.

Joris J.

Doku.Arts 19. September bis 14.Oktober, Programm unter www.doku-arts.de

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