Interview mit Provinziale-Leiter Kenneth Anders

Jeder Mensch hat eine provinzielle Seite


Foto: Filmfest EberswaldeFestivalleiter Kenneth Anders hat in diesem Jahr in Eberswalde die Nachfolge von Vivien Zippel angetreten. Der studierte Kulturwissenschaftler ist dem Festival bereits seit Jahren verbunden und hat zusammen mit den anderen Programmgestaltern das heutige Bild des Festivals stark geprägt. Anders betreibt neben seiner Tätigkeit beim Filmfest im Oderbruch das Büro für Landschaftskommunikation, das sich mit Landschaftsplanung, Umweltwissenschaft, landschaftsbezogener Kunst und landschaftspolitischer Bildung auseinandersetzt. Mit ihm sprachen wir über die kommende neunte Ausgabe des Eberswalder Filmfestes, Kulturarbeit im ländlichen Gebiet und über den Unterschied, der zwischen provinziellen und urbanen Räumen besteht.

Herr Anders, aufgewachsen sind Sie in Eberswalde, und außerdem Gründer des Büros für Landschaftskommunikation: Wie sind Sie konkret zum Filmfestival Eberswalde gestoßen?
Zum Leben außerhalb der Ballungsräume gehört es, dass man an Leuten, die etwas Interessantes machen, nicht vorbei kommt. Als die Eberswalder begannen, ihre Filmfestidee zu verwirklichen, lebte ich schon im Oderbruch. Sie sprachen mich an, ob ich einmal moderieren könnte. So lernten wir uns kennen. Nach und nach stellte sich heraus, dass es mit meinen anderen Aktivitäten gut zusammenpasste.

Wo sehen Sie die Besonderheit provinzieller Gebiete gegenüber urbanen?
Die Provinz hat weniger Angebote. Also wird man weniger als Konsument herausgefordert sondern als jemand, der sich selbst organisieren muss – als Lebenskünstler. Außerdem liegen landschaftliche und ländliche Themen näher: Boden, Wasser, Wald. All das wird hier bewirtschaftet.

Welche Tendenzen, gerade im kulturellen Bereich, sind insbesondere in ländlichen Räumen zu beobachten?
Das Bild ist extrem unübersichtlich, auch wenn der demografische Diskurs überall dieselben langweiligen Bilder malt. Tatsächlich differenziert sich das Land aus: An vielen Orten entsteht neues, nachhaltiges Denken, das jenseits von kultureller Repräsentationsgier mitten auf die Zivilgesellschaft gerichtet ist. An anderen Orten herrscht Ratlosigkeit in Anbetracht der mächtiger werdenden industriellen Beanspruchungen und des Verschwindens gewohnter sozialer Ordnungen.

Wie erklären Sie sich den aktuellen Trend: Raus aus der Stadt, zurück aufs Land?
Ehrlich gesagt, ich kann bisher einen solchen Trend nicht feststellen. Da wo ich lebe, im Oderbruch, ist die letzte Welle der Raumpioniere vor über fünfzehn Jahren verebbt. Vielleicht gibt es eine Renaissance der Aufmerksamkeit für das Land, dafür arbeite ich jedenfalls. Wir wollen die Leute nicht danach bewerten, wo sie wohnen. Aber wir möchten alle dazu motivieren, genau hinzusehen und es sich mit dem Urteil über das Land nicht zu leicht zu machen. Es wäre viel erreicht, wenn jeder Berliner im Umland ein paar echte Freunde hätte, deren Perspektive er kennt und mit denen er mal einen guten Lammbraten zubereitet oder eine Spinatsuppe kocht.

Was unterscheidet des Filmfestival Eberswalde von einem Berliner Filmfestival?
Natürlich vor allem die Nähe zu den Leuten, die gelassene Atmosphäre. Das Wichtigste für mich ist aber die Art der Aufmerksamkeit. Sagen wir mal so: Ich war vor einigen Jahren in den Tilsiter Lichtspielen in Berlin und sah mir „Süt“ an, den Film des türkischen Regisseurs Semih Kaplanoðlu. Ich war der einzige Gast im Kino. Danke nochmal an die Leute vom Kino, dass sie den Film trotzdem gezeigt haben! Im selben Jahr gewann der nächste und letzte Film dieser Trilogie den Goldenen Bären bei der Berlinale. Da war das Kino natürlich voll! Das macht für mich den Unterschied aus. Wenn die Kulturakteure aus Eberswalde außerhalb des Festivalfiebers einen Film zeigen und ihrem Publikum sagen: Hey, dieser Film ist wichtig, guckt euch den mal an, dann werden sie auch nicht allein da sitzen. Es gibt einen kulturellen Basisprozess, der das Ganze trägt. Auf diese Weise werden alle, die bei einem Festival in der Provinz dabei sind, von Jahr zu Jahr schlauer.

Nervt Sie der Vergleich in Anbetracht der nachbarlichen Hauptstadt?
Nein, gar nicht! Wir haben ja mit dem Wortspiel „Provinziale“ extra einen solchen Bezug hergestellt. Wir wollen nicht unser Süppchen kochen, wir wollen kommunizieren!

Wo entdecken Sie potenzielles Material für das Festival?
Es gibt viele Filmemacher, die sich in Räume abseits der allgemeinen Aufmerksamkeit begeben und dort sehr sorgfältig arbeiten. Insofern ist allein auf der Basis der Ausschreibung immer eine Menge relevanter Filme dabei. Außerdem recherchieren wir und bekommen Empfehlungen, z.B. von Holger Lauinger, der uns seit einigen Jahren begleitet. Und wir tun uns auch bei anderen Festivals um.

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