Das 28. Kurzfilmfestival interfilm Berlin

Spaßvögel und Kindersoldaten


Szene aus "Aquel no era yo" von Esteban Crespo

Szene aus "Aquel no era yo" von Esteban Crespo

Der Kurzfilm als Format ist uralt, trotzdem wird er als sehr typisch für die heutige multilaterale Medienlandschaft gehandelt. Er steht oft im Schatten der langen Spielfilme, die die Kinowelt dominieren und muss sich nicht selten gegen den Vorwurf verteidigen, Rhapsodien von Impressionen oder zu viel Freizeit zu sein. Der Genuss von Bildern, zumal diese sorgfältig ausgesucht sind, entfaltet seine heuristischen Möglichkeiten, wenn diese mit den Automatismen der eingeschliffenen Navigationsmarken brechen wollen. Der Wille zum Stil und nicht die Fasson der Laxheit bestimmen den Ausgang von einigen Minuten Zelluloid. Obwohl mit dem Kurzen 1895 die Filmgeschichte begann, findet man kaum Material zu dieser Filmgattung. In den meisten Büchern der Filmgeschichte wird der Kurzfilm nicht einmal erwähnt. Dies hängt damit zusammen, dass die Kürze des Films damals kein Kriterium für die Gattungszuordnung war. Vielmehr war die Filmlänge von den technischen Möglichkeiten subaltern.

Zum mittlerweile 28. Mal muss das Interfilm-Festival vom 13. bis 18.November dem Interessierten beweisen, dass der Kurzfilm mehr als nur kurz ist. Dafür siebten der Festivalleiter Heinz Hermanns und sein Team aus über 7000 Einreichungen 500 Filme aus. Die Sparten „Internationaler Wettbewerb“, „Dokumentarfilm“, „Konfrontation“, „Deutscher Wettbewerb“, „Eject“ und Viral Video Award haben dabei eine funktionelle Gewichtigkeit, mal schauen ob die Differenzen von Stellung und Lage in einer nachvollziehbaren Systematik enden. Die Sparte „Dokumentarfilm“ wartet mit den Schwerpunkten Dream Jobs und Reality 2.0 auf. Die Unlust, eine nutzlose Tätigkeit zu verrichten, die Verleugnung der Wahrheit, dass es sich bei den meisten Beschäftigungen um Ablenkung von innerer Leere handelt, die damit eingehende Sinnfreiheit zwischenmenschlichen Beisammenseins, das erstaunlicherweise gerade deswegen zu einer Anstrengung erster Güte wird – wer da nicht seinen Traumjob noch einmal überdenkt, ist wohl wirklich krank. In Gail Piyanan Suntasiris „Dream Jobs“ werden die Wunschberufe von Kindern der Realität des erwachsenen Lebens gegenüber gestellt. Leider fällt hierbei ein wenig unter den Tisch, dass unter dem globalen Diktat der Verwertung der Mensch zum bloßen Material verkommt, der bei ausbleibender Veredelung einfach auf den Müll geworfen wird. Dagegen ist die manufakturelle Tristesse in Clarissa Knolls „Cine Camelo“ ehrlich und ein jeder darf dort mal den Star geben.

Sozialhistoriker reden davon, dass die Geschichte des modernen Massentourismus in den zwanziger Jahren begonnen hat. Doch die Mischung aus groß organisierten Massenreisen, Integration der Arbeiterschaft und spektakulärer Inszenierung freier Zeit wurde, wie könnte es anders sein, von den Nazis auf die Spitze getrieben. Nach dem großen Sterben verkam der Urlaub spürbar zu einer Verlängerung des Elends der Lohnarbeitsgesellschaft in die vermeintlich freie Zeit. Der Animateur und der Vorarbeiter unterscheiden sich in ihrer Impertinenz und ihrem Drängen mitzumachen nur in Stichen. Maximilien Van Aertrycka „Icebreakers“ begleitet solche Spaßvögel bei ihrem Arbeitsalltag auf einer Kreuzfahrt durch die Ostsee.

Das Modell des Normalarbeitsverhältnisses mit seinem garantierten Urlaub war der Kern der Mehrwertproduktion in der fordistischen Ära. Und auch die heutige Umstrukturierung der Lohnarbeitsgesellschaft tastet den Urlaub der Kernbelegschaften nicht an. Der unternehmerische Angriff geht eher auf die Arbeitszeit, nicht auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch. Im Jahr 1994 wurde das Bundesurlaubsgesetz sogar nochmals zugunsten der Lohnabhängigen verändert und der Urlaub von 18 auf 24 Werktage verlängert. Wohlstandsverelendung hier, Kindersoldaten dort. In „Aquel No Era Yo“ zeigt Esteban Crespo wie Kinder das Töten lernen und wie sie hinterher damit umgehen müssen. Es sieht ganz so aus, als wenn die Kurzfilme dieses Jahr, der Logik ihrer Betriebsweise entsprechend, als Unterscheidungsmerkmale dazu geschaffen sind, die Funktion von Trennung und Verbindung zu erfüllen, genauer gesagt, die Marken auszudrücken, die für die Struktur des Hier und Jetzt kennzeichnend sind.

Joris J.

Berliner Kurzfilmmacher im Porträt

Kurzfilm für Kinder

28. interfilm Berlin 13. bis 18. November 2012, u.a. Kino Babylon, Volksbühne, Roter Salon, Programm unter www.interfilm.de