In-Edit 2012 im Rückblick

Die Grenzen der Vielfalt


Sich von Bands mit rein männlichen Besetzungen entfernend, konnte man sich beim In-Edit auch mit einer Girl Group befassen, dabei wollen sich Le Tigre, pardon, auf keinen Fall jemals so genannt wissen. Die bis 2007 aktive Fun-Feminismus-Band begleitend, erzählt „Who took the Bomp?“  (Kerthy Fix) von der oftmals schwierigen Auseinandersetzung dreier junger Frauen mit einem männlich dominierten Musikbusiness, in dem Geschlechter-Kategorien immer noch vorherrschen, weil sie besser vermarktbar sind. Das Resultat sind und waren unter anderem Anfeindungen gegenüber der sich als männlich inszenierenden Keyboarderin JD Samson, die mittlerweile mit Stolz ihren Schnauzbart trägt und auch die Beleidigungen gegenüber der Gitarristin Johanna Fateman, sie sei eine „fette, alte Schlampe“, sitzen bis heute tief. Doch wo einerseits Diskriminierung aufgrund von Branchenkonventionen erwachsen kann, bleibt die Musik zumindest immer noch die Anlaufstelle, um seinem Ärger Luft zu machen.

Dies zu zeigen, versuchte der Beitrag „Uprising – HipHop And The LA Riots“ (Mark Ford), der eingangs den Rodney King-Fall von 1991 wieder aufrollte und davon ausgehend demonstrierte, dass Rassismus in Los Angeles noch immer an der Tagesordnung ist. Bedeutende Größen der Rap-Szene wie Ice Cube, Dr. Dre oder Nas melden sich hier zu Wort, allerdings artet der Film von Minute zu Minute immer mehr in einen von Sensation und Skandal getriebenen Jargon aus, so in etwa, wie man es aus den amerikanischen „Autopsie“-Reportagen kennt, die RTL II seit längerem in seinem Programm gelistet hat. Dass Snoop Dogg „Uprising“ seine Erzählerstimme geliehen hat, verleiht dem Film zugegebenermaßen eine schwer zu ignorierende Komik, wenn man jeden Moment mit solch kreativen Wortschöpfungen wie „fo shizzel my nizzel“ rechnen muss.

Wer sich am Freitagabend die beiden inoffiziellen Herzstücke des Programms, „Days Of Our Lives: Queen“ (Matt O’Casey) und „The Sacred Triangle: Bowie, Iggy und Lou“ (Alec Lindsell) anschaute, war in erster Linie um die Erkenntnis reicher, dass zwei 120-Minuten-Beiträge in der Spätvorstellung wohl jeden an die cinephile Belastbarkeitsgrenze treiben. Genauso wurde aber auch klar, dass eine gute Musikdoku sich nicht nur über die besprochenen Musiker definiert, sondern ebenso über seine Auswahl und qualitative Umsetzung des Materials. Während bei „The Sacred Triangle“ keine der drei Ikonen tatsächlich interviewt wurde und stattdessen mehr oder minder bekannte Randgestalten wie eine überdrehte Angela Bowie oder ein ehemaliger Schauspieler aus Pork (Andy Warhol) im Rotkäppchen-Kostüm ihren Senf zum magischen Dreieck abgaben, war man bei Queen mit den drei Hinterbliebenen der Glamrock-Band schon weitaus näher dran. Und man weiß jetzt, dass Freddy Mercury zu Lebzeiten allen Ernstes Ballett als Konterkonzept zu Punkrock einführen wollte.

Seinen vorläufigen Abschluss fand das Filmfestival dann am Samstag-Abend bei der Preisverleihung im Kater Holzig. Offenbar kann es sehr schwierig sein, sich seinen Weg in diese dem Liberalismus und Hedonismus verschriebene Parallelgesellschaft zu bahnen, wenn selbst die Pressefrau vom In-Edit aufgrund einer mangelhaften Gästeliste zunächst vom Türsteher kein Einlass erhält. Einmal drin, ist die Preisverleihung mit der Kür von „Brötzmann“ (René Jeuckens) als bester Musikdokumentarfilm und „Flieger“ (Herbert Sahne) als bestes Musikvideo innerhalb von zehn Minuten abgewickelt. Nun hat man endlich Zeit, sich im Oberstübchen auf einem Gitterbett mit rotem Latexlaken niederzusetzen und das Festival ausklingen zu lassen, auch wenn man besser gar nicht wissen will, welche Körperflüssigkeiten hier schon ausgetauscht wurden.

Im Rahmen des In-Edit läuft Hip Hop und Indie, was eher untypisch für das Kater Holzig ist; man vergleiche dazu die anorganischen mechanischen Beats, die völlig ohne Melodie auskommen und einem als Kontrastprogramm aus der vernebelten Dunkelkammer im Erdgeschoss entgegen hallen. Getanzt wird trotzdem überall und so fragt man sich schließlich, warum Musik scheinbar stets Grenzen zwischen Subkulturen, Mainstream und Independent oder cool und uncool aufzieht und auslotet, wenn ihre ursprüngliche Zweckmäßigkeit doch einmal darin bestand, Menschen zu verbinden. Musik hilft beim Erwachsenwerden, beim sich Positionieren und beim Finden der eigenen Identität. Wenn man diesen Prozess einmal durchlaufen hat, lohnt es sich, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Ein Festival wie das In-Edit liefert den dazu nötigen Anstoß.

Alina Impe

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