Teil 1: Wir blicken zurück auf das Jahr 2012

Jahresbilanz 2012


ALLES WIRD GUT ODER WENIGSTENS EFFIZIENTER on Joris J.

Kein Meteoriten-Einschlag. Keine wolkenkratzer-hohen Tsunamis. Der Tephis-Ozean muss wohl auch weiterhin auf sein Revival warten. So endet das Jahr in unseren Breitengraden wieder einmal im Weihnachtsfest, auch wenn sich die Abonnenten der „Frankfurter Rundschau“ und der „Financial Times Deutschland“ ein neues meinungbildenes Zuhause suchen müssen. In dieser Obdachlosigkeit sollte man sich damit trösten, dass Meinungen immer schon käuflich waren. Lediglich die Ramschhaftigkeit einer Meinung ist in den letzten Jahren überdeutlich geworden. Abhilfe soll die allgemeine Rundfunk-Gebühr 2013 schaffen. Öffentlich-rechtliche Medienanstalten sind ja angeblich eminent für den Erhalt unserer Demokratie und einer ausgewogenen Berichterstattung. Mal davon abgesehen, dass Zwangsabgaben noch nie demokratisch waren, darf bezweifelt werden, dass eine große Anzahl von Menschen, nach Möglichkeit die Mehrheit in unserem Land, wirklich nach ausgewogener Berichterstattung lechzt. Der Markt (und damit Sie) möchte, dass ein oberflächlicher Journalismus überlebt. Der plumpe Effekt soll die gründliche Recherche ausstechen. Die Vorverurteilung soll über die Neutralität siegen. Bitte keine Fremdwörter. Bitte keine Relativsätze. Und auf keinen Fall Negativkritik. Alles wird gut. So hat jedes Bevölkerungsegment seine eigene Yellow-Press. Der Kleinbürger hat die „Bild“. Der Bildungsbürger hat die „Achse des Guten“. Der Grüne hat die „Taz“. Der Türke hat die „Hürriyet“. Das Prekariat kann nicht mehr lesen. Es ist wohl überdeutlich, dass eine Gesellschaft ab einem gewissen Grad der Differenzierung genau genommen keine mehr ist, aber dem Wort Postdemokratie sei Dank können wir uns wieder entspannt dem Glühwein und den Filmen widmen. 2012 war das Jahr des ehrlichen Actionfilms. „Dredd„, The Dark Knight Rises“ und „Skyfall“ machten die Multiplex-Vorhöllen wieder besuchenswert. Daniel Craig ist in seiner Verkörperung des wohl sympathischsten autoritären Charakters der gesamten Kinogeschichte, James Bond, ein Familienfilm für Menschen geglückt, die keine Familie haben wollen oder können. Selbst sein Arbeitsplatz ist nicht sicher. Selbst er kann aus dem Arbeitsleben wegrationalisiert werden. Selbst er beginnt zu zweifeln. Das macht Mut.

Christian Bale bleibt als soziophober und –pathischer Superheld Batman reflexiv begrenzt. Seine Welt besteht weiterhin aus Gut und Böse, aus schwarz und weiß. Wieder einmal siegt er, doch dieses Mal zieht er sich zurück und überlässt seinen Platz einem Jüngeren. Dank dem mittelmäßigen Ende kann der Carl Gustav Jungsche Schattenarchetyp der Zivilisation auf eine neue Verfilmung hoffen. Karl Urban ist als neoliberaler Henker Dredd weder sympathisch, noch reflexiv. Die Wahrheit ist für ihn keine zu verhandelnde Beschreibung zwischenmenschlicher Befindlichkeiten. Nein, die Wahrheit kann man anfassen und ihr Name ist Lawgiver. Wahlweise verteilt sie Rauch-, Gummi-,Vollmantel-, Uran- oder Napalmgeschosse an die Zweifelnden. Eine richtige Tötungsmaschine, die die Überflüssigen dieser Welt samt der Frauenbeauftragten in das Jenseits schickt. Eine funktionierende Gesellschaft braucht eben keine Mitglieder (mehr) und die Jobcenter des Diesseits sind bereits überfüllt. So ist die Botschaft des Filmes wenigstens fragwürdig, das Zuschauen macht genau genommen zu viel Spass, aber es bleibt angenehm eindimensional. Anspruch ist Verhandlungssache und darüber hinaus ein Glücksfall. Das literarische Genre „True Crime“, sieht man einmal von Truman Capotes „Kaltblütig“ ab, kann ein Lied davon singen. So überrascht Ethan Hawke als Schriftsteller Ellison in Scott Derricksons „Sinster„. Filmrollen auf dem Dachboden, eine Mordserie die wenigstens 50 Jahre andauert, psychisch gestörte Kinder, eine labile Ehefrau und der Druck, dass das nächste Buch unbedingt ein Erfolg werden muss, klingen abgegriffen, funktionieren aber dank der kompensierenden Saufanfälle Hawkes ausgesprochen gut und so ist dieser Horrofilm manchmal wirklich gruselig. Ein Attribut, dass man in diesem Genre eigentlich vergeblich sucht.

Die besseren Horrorfilme der letzten Jahre waren die Gesellschaftskomödien,-tragödien,-portraits und -karikaturen an die sich andere Genres nicht herantrauten. Sonst müsste man den Vorsatz „Alles wird gut“ aufgeben. Auch „Killer Joe“ hat diesen Vorsatz vor langer Zeit aufgegeben. Der einzige (An)spruch an seine Umgebung ist: Wenn du mich verarscht, hat das Konsequenzen. Er ist vielleicht überrascht, dass es seine Mitmenschen trotzdem versuchen. Wahrscheinlich ist es ihm aber egal, denn es folgen die Konsequenzen. Matthew McConaughey nimmt der Gestalt des Gunslingers jede Anmut und offenbart den Zynismus der Versicherungsbranche, denn man kommt der Wirklichkeit eher mittels Übertreibung nahe als durch die sachliche, abgewogene Reinszenierung dessen, was man für die Realität hält. Doch es war nicht alles düster. Michael Haneke hat mit „Liebe“ einen glaubwürdigen Liebesfilm geschaffen und auch wenn seine Hauptfigur aus einer Schnabeltasse trinkt, ist man als Zuschauer dankbar, nicht wieder eine neurotische, essgestörte Endzwanzigerin zu erleben, die auf der Suche nach Mr.Right mit der Hälfte der Komparsen und zwei Dritteln der Nebendarsteller schlafen muss, nur um am Ende an einen hundeliebenden Börsenmakler zu geraten, der eine mittelprächtige Kindheit hatte und deshalb zu einem kaltherzigen Fiesling wurde. Öffentlichkeitsscheu zu sein – das ist eine seltene Tugend geworden und man sollte dankbar sein, dass abgeschiedene Häuser nicht nur die Bricolage für irre Serienkiller oder mittelprächtige Schmachtfetzen sind. Hin und wieder leben dort auch kleine, eigenbrötlerische Jungs, die den Erwachsenen einen groben Streich spielen. Steven C.Millers „The Agression Scale“ ist eine Torture-Porn-Variante von Peter Pan gelungen, die jeden schadensfrohen Menschen sehr glücklich machen wird. Im Fernsehen lief mal wieder „Der kleine Lord“. Ich verabschiede mich für dieses Jahr mit Alec Guinness Worten: „Ich empfehle mich.“

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