Teil 1: Wir blicken zurück auf das Jahr 2012

Jahresbilanz 2012


Kinosaal im Delphi, Foto: Yorck

Kinosaal im Delphi, Foto: Yorck

Gegen Ende des Jahres überfluten die Bestenliste die Netzwelt und die angestammten Feuilltons. Top Ten muss sein. Das ist bleiernes Gesetz. Der Filmkritiker linst eifreig über den großen Teich und macht sich fleißig Notizen, an den Flops und Tops aus Übersee etwa kann man ja schon mal ablesen, was 2013 wichtig ist bzw. sein müsste. Und man selbst guckt noch einmal auf die Versprechen, die hierzulande ankamen. Und ob sie sich erfüllten. Arbeit eben. Für den Leser bietet dieses Aufgeliste dagegen meist wenig Mehrwert. Das Maximum an Zugewinn ist wohl die Ablehung, die aus dem persönlichen Abgleich entsteht. Wie im letzten Jahr wird es bei uns deshalb keine Listen geben. Und trotzdem blicken wir zurück. In persönlichen Texten erzählen unsere Autoren, was ihnen wichtig erscheint. Was gut aussah und was betont öde war. Viel Spaß dabei.

INS OFF ZURÜCKFINDEN von Alina Impe

Über Filmfestivals zu berichten, klingt zunächst einmal nach einem ziemlich entspannten Job. Klar, den Großteil der Zeit sitzt man sich den Hintern in einem Sessel platt und kann abgesehen von Ohren und Augen den Rest des Körpers in den Stand-By-Modus zurückfahren. Eine blind in Popcorn wühlende Hand ist so ziemlich das einzige, das sich ab und an bewegt. Der Kinosaal wird zu einem Raum der Entspannung, der Passivität und damit zum Zufluchtsort vor der Hektik, die sich im Off dieser Szenerie ausbreitet. Das Off ist die Realität, in der ich morgens aufwache und verzweifelt nach einem Paar saubere Socken in den Klamottenbergen suche, die sich seit Beginn des Festivals angehäuft haben. Haushaltsarbeiten, oft eine beliebte Prokrastinationsstrategie bei Studenten, werden auf ein Minimum zurückgefahren. Das gilt übrigens auch für die Lebensmittelbeschaffung, denn nachdem ich mich schließlich mit einem Paar Socken vom Vortag zufriedengegeben habe, stelle ich fest, dass der Kühlschrank leer ist. Egal, zur Not tut’s auch ein Cheeseburger in der U-Bahn, solange man seinen Foucault-Text für das nächste Uni-Seminar dabei nicht vollschmiert. Irgendwoher muss die Energie ja kommen, wenn man später nicht nur Filme beschreiben und beurteilen will, sondern auch die Menschen, die ebenfalls zum Festival gepilgert sind – vermutlich mit einer vollwertigeren Mahlzeit im Bauch und frischen Socken an den Füßen. Doch auch in anderer Hinsicht unterscheidet sich der getriebene Festivalkritiker vom restlichen Publikum und kann das nicht mal verbergen: Ich bin allein. Als einsamer Wolf platziere ich mich irgendwo am Rand und überlasse die Plätze im Mittelfeld lieber glücklichen Pärchen, die sich eine Nacho-Schale teilen, Kumpel-Formationen, die vorfreudig die Bierflaschen klirren lassen und besten Freundinnen, die noch schnell eben vor Filmbeginn den neuesten Gossip austauschen wollen.

Man ist allein, mit sich und mit seinen Gedanken und das ist auch gut so, schließlich wird man später noch genügend Gelegenheit haben, diese schriftlich in passende Worte gießen zu können. Und so komisch das klingt: Wenn das Licht ausgeht, fange ich tatsächlich an zu arbeiten, oder zumindest mein Gehirn. Elf Filmfestivals habe ich dieses Jahr besucht, darunter die British Shorts, die Berlinale und das sehsüchte-Festival, das XPOSED International Queer Film Festival, das Fantasy Filmfest, das IN-EDIT und schließlich in diesem Monat die ContraVision. Es geht nicht nur darum, zu urteilen, ob dieser Film gut oder ein anderer schlecht ist, warum der Saal leer oder voll ist oder was sich die Organisatoren bei dem Programm gedacht haben. Es geht um Einordnen einerseits und Abgrenzen andererseits, denn kein Festival gleicht dem anderen. Für mich persönlich geht es auch um Assoziationen und verschüttgegangene Erinnerungen, die oft wie Schlaglichter im dunklen Saal niederprasseln. Der Körper bleibt unbewegt und faul, aber der Kopf läuft auf Hochtouren. Danach den Weg ins Off zurückzufinden, ist nicht immer leicht, weshalb die einzige Katharsis nur das Schreiben sein kann. Schreiben, um wieder Platz im Kopf zu schaffen, für andere Dinge wie Freunde, Familie, Foucault oder eben Socken waschen. Letzteres passiert dann meist morgens um drei. Die Waschmaschine rotiert und mein Kopf erinnert sich, dass er einen Körper hat, der nach stundenlangem Rumsitzen auch noch schlafen will. Ziemlich ungerecht.

1 2 3 4