transmediale 2013 im Haus der Kulturen der Welt

Mehr ist manchmal mehr


Filmszene: "Gatekeeper", Foto: Tabor Robak, Hippos In Tanks 2012, tranmediale

Filmszene: "Gatekeeper", Foto: Tabor Robak, Hippos In Tanks 2012, tranmediale

Im Theatersaal des HKW ist ein Bild auf die Leinwand projiziert. Darauf zu sehen: Der französische Intellektuelle André Malraux inmitten eines Meeres von Fotografien. Sie zeigen Eckpfeiler der Kulturgeschichte, Statuen, Gesichter, Architektur – menschliches Schaffen, verteilt über den ganzen Globus, in vielen Jahrhunderten entstandene Artefakte. Es ist ein Sinnbild, das Marcel Schwierin für das Filmprogramm der diesjährigen transmediale, die vom 29. Januar bis zum  3. Februar  im Haus der Kulturen der Welt stattfindet, ausgewählt hat.

Schwierin begreift Film als imaginäres Museum, als Quelle, als eingefangenen Moment. Die transmediale 2013 steht im Zeichen des Ex-Planeten Pluto (BWPWAP – Back When Pluto Was A Planet) – und nimmt gewissermaßen eine Zeit vor diversen Paradigmenwechseln in den Fokus, rebelliert Schwierin ein wenig schnippisch. Seine Losung lautet: „Everything But The Planets“.

So erwartet den Besucher der transmediale-Screenings demnach eine Melange, die Vieles anpeilt, Einiges in Verbindung zu bringen sucht und gewohnt autark das restliche Programm ergänzt. Die Auswahl reicht dabei zurück bis in das Jahr 1924. Denn dort entstand „Crossing the Great Sagrada“ (Adrian Brunel, Großbritannien), der erste Found-Footage-Film überhaupt. Eine zusammengeschnipselte Expedition, die den damaligen Wunsch nach Exotismus mittels zahlreicher unzusammenhängender Filmausschnitte zu bedienen wusste. Ein sehenswertes Zeitdokument, das zugleich einen Zugang zum Programm verschafft. Dieses ist in zehn höchst unterschiedliche Blöcke zerlegt, mit einem thematischen Überbau versehen und lässt sich ansonsten viel Raum. Durch eine Kombination aus aktuellen Arbeiten zeitgenössischer Film- und Videokünstler und Retrospektiven entsteht ein ganzer Fächer von Aspekten, Herangehensweisen und Visualisierungen. Im Pressetext heißt es: „Die 49 Filme des Programms haben insgesamt eine Laufzeit von 719 Minuten, das sind geschätzt über 4.000 Einstellungen und über eine Million Einzelkader. Jede Einstellung eines Films, im Extremfall jeder Kader, kann eine völlig andere Welt darstellen.“ Eben fast everything, möchte man den Titel des Programms bemühen.

Im Block „Too Many Things“ steht beispielsweise das Ding im Vordergrund. „The Object – L’Objet“ (Jacques Louis Nyst, Belgien 1974) beobachtet einen Künstler, der sich wie ein Archäologe der Zukunft einem banalen Gegenstand widmet und ihn präzise untersucht. Das Objekt: eine Spielzeugkaffeekanne. Die namensgebende Arbeit „Too Many Things“ (Donigan Cumming, Kanada 2010) zeigt einen Gebrauchtwarenladen, vollgestopft mit abgelegten Konsumgütern. Zwischen Abfallprodukt und Fetisch entsteht aus der Distanz ein ironischer Blick auf unsere Dingwelt voll halbüberflüssiger Habseligkeiten. Eine Hommage auf verschwindene Trägermedien scheint sich hinter dem Brocken „Media’s Material“ zu verbergen: „Disque 957“ (Germaine Dulac,  Frankreich 1928) thematisiert eine ehemalige Innovation – die Schallplatte, in „Gazette“ (Eleonore de Montesquiou, Russland 2009) durchforstet eine Seniorin ihr Regal und berichtet über die sage und schreibe siebzehn Magazine und Zeitungen, die zu Sowjet-Zeiten regelmäßig ihren Briefkasten frequentierten.

Ohne Zweifel, es gilt viel zu entdecken. Und das Programm in ein paar Worten zusammenzufassen, scheint nahezu unmöglich. Aber auch das entspricht der Tradition der transmediale, die ihre Geheimnisse erst preisgibt, wenn man sie sich mit eigenen Augen angeschaut hat (oder gefühlt, gedenkt man dem aufgebauten Elektrozaun des vorherigen Jahres, der jeden Besucher dazu einlud, sich einen kurzen aber heftigen Schlaf verpassen zu lassen). Auch einer anderen Sache darf man sich sicher sein: 90 Prozent der gezeigten Filme werden wohl schwerlich erneut ihren Weg auf die Leinwand finden. Nichts mit Videothek. Die transmediale macht ihrem Ruf als anstrengende, aber symphytischen Veranstaltung zwischen Schrulligkeit, Kryptomanie und Spartigkeit auch 2013 alle Ehre. Vorfreude!

Carolin Weidner

transmedial 29. Januar bis 3. Februar, Haus der Kulturen der Welt, www.transmediale.de