Türkische Filmwoche Berlin 2013 im Colosseum

Gegenwart und Zukunft


Die diesjährige Filmauswahl reflektiert zudem einen Umdenkungsprozess, der gegenwärtig in der Türkei stattfindet. Nicht wenige Filme setzen sich explizit mit der Vergangenheit des Staates auseinander. Während „Delikanlım İyi Bak Yıldızlara“ (Yunus Nihat Özcan) die Zuschauer mit dem Umgang der Justiz mit den Protagonisten der 68er Bewegung konfrontiert, widmet sich „Taş Mektep“ von  Altan Dönmez einer Episode aus Atatürks Befreiungskrieg. „Vor Menekşe“ gemahnt dagegen an die Toten in der zentralanatolischen Stadt Sivas, die 1992 bei einem Brandanschlag ums Leben kamen und bei dem auch der prominente türkische Schriftsteller Aziz Nesin starb.

Orhan Eskiköy und Zeynel Doğan vergegenwärtigen in“Babamın Sesi“ das Massaker in Maraş Ende der 1970er Jahre. Mit fast dokumentarischen Zügen erzählt ihr Drama von Verlust und verlorener Identität und entwirft das Porträt einer ganzen Generation von Kurden, die das Trauma der Ausgrenzung und der Heimatlosigkeit bis heute nicht verarbeitet hat. Ein Blick auf die Gegenwart wirft dagegen „Şimdiki Zaman„. In ihrem ersten Spielfilm erzählt die Dokumentarfilmerin Belmin Söylemez die Geschichte von Mina, die wie viele andere junge Menschen in der Großstadt arbeitslos, einsam und schwermütig ist. Von Hoffnungslosigkeit getrieben, beschliesst sie, in die USA zu gehen und dort neues Leben zu beginnen. Um für ihr Vorhaben zu sparen, fängt Mina an, in den Cafes für andere die Zukunft zu deuten und projiziert so ihre Enttäuschungen über ihr Leben und ihre Erwartungen an die Zukunft in den Kaffeesatz. Ein Zustand innerer und äußerer Gefangenschaft, den sie mit einer ganzen Generation junger Menschen teilt. Weltweit.

Martin Daßinnies

11. Türkische Filmwoche Berlin, 16. bis 24. März, Colosseum, www.tuerkischefilmwoche-berlin.de

1 2