Wider der falschen Selbstherrlichkeit: Ulrich Seidls „Paradies-Trilogie“

Ulrich Seidls "Paradies-Trilogie"


Einen tut die drei Teile die Libido. Bei Teresa ist es offensichtlich. Ihre Schwester Anna Maria schenkt ihren Körper nur Jesus Christus. Melanie verliebt sich im Camp in ihren Arzt. Dieser ist einige Dekaden älter als sie und verhält sich sonst recht pädophil. Er lächelt sie mehrmals zu vieldeutig an und reizt ihr ernsthaftes Interesse in idiotischen Rollenspielen aus. Natürlich verliert Melanie nicht an Gewicht, aber ihre Schauspielerin Melanie Lenz nimmt Ulrich Seidls nichtvorhandene Regieanweisungen zum Anlass, sich blamierend selbst darzustellen. Der Seidl, das ist schon ein perfider Hund. Seine Schauspieler können eigentlich tun und lassen was sie wollen, vorgeführt werden sie immer. Zusammen mit ihrem Regisseur stoßen sie an die Grenze objektivierter Fetischverhätlnisse und können dabei das Kinderhemd des anything goes nicht abstreifen. Als Zuschauer wohnt man Glaube, Liebe oder Hoffnung ohne den Telos des Willens bei. Es bleibt das nackte Vegetieren und im fortgeschrittenen Stadium noch nicht einmal mehr das. Damit hängt zusammen, dass eine Orientierung, soweit sie überhaupt angestrebt wird, rückwärtsgewandt ist: Teresa schläft mit jungen afrikanischen Männern. Anna Maria kämpft für ein feudalistisches Österreich. Melanie möchte in erster Linie weniger und erst danach dünner werden.

Soweit zum (rest)menschlichen Teil der Trilogie. Das spezifisch österreichische erreicht Seidl indem seine Filme trotz aller Dumpfheit eine gewisse Melancholie ihr eigen nennen. Nach Freud ist der Melancholiker dadurch gekennzeichnet, dass er sich von seinem abhanden gekommenen Liebesobjekt nicht trennen kann. Österreich selbst ist ja ein Staat, der auf der Basis einer Kette von Katastrophen und Niederlagen aufgebaut wurde. Der Verlust der Illusion und des Pathos ist als Antwort auf eine falsche Selbstherrlichkeit in Bild und Ton auf jeden Fall angebracht.

Joris J.

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