DOK Leipzig zeigt Dokumentarfilme aus aller Welt
Neutralität ist eine süße Illusion
Mit einem Beitrag aus dem Deutschen Wettbewerb eröffnet DOK Leipzig am Montagabend seine 56. Ausgabe: „Master Of The Universe“ von Marc Bauder. Darin gewährt der Ex-Banker Rainer Voss Insiderblicke in die Finanzbranche. Bauders Film lief bereits erfolgreich in diesem Jahr in Locarno und zog ein großes Medienecho nach sich.
Um im Bankengeschäft in den oberen Etagen der großen Geldinstitute die Karriereleiter hochzusteigen, bedarf es der Beachtung klarer Regeln. Dazu gehört zum einen, dass man sich ganz in den Dienst des Unternehmens stellt. Zum anderen sollte man sich frühzeitig von seinem Privatleben verabschieden. Das erklärt Rainer Voss mit ruhiger Stimme gleich zu Beginn des Dokumentarfilms „Master Of The Universe„. Der Ex-Banker hat ganz oben mitgespielt. Im Film berichtet er von seinem eigenen Aufstieg in den achtziger Jahren und gewährt einen Insider-blick in eine Branche, die sich gern hinter Spiegelfassaden bedeckt hält. Voss als Protagonist erweist sich für den Filmemacher Marc Bauder („Das System„, 2011) als wahrer Glücksgriff. Statt Voss in seinem Zuhause zu zeigen, lässt Bauder ihn durch ein leer stehendes Frankfurter Bankengebäude spazieren und über den Irrsinn der Finanzwelt sinnieren. Er skizziert mathematische Gleichungen an eine Glaswand, spricht über Finanztheorie und absurde Börsenspekulationen und prophezeit den totalen Kollaps. Bauders Film eröffnet die 56. Ausgabe von DOK Leipzig.
Welche gestalterische Möglichkeit Dokumentarfilm haben kann, ohne nur im Geringsten an Glaubwürdigkeit zu verlieren, zeigt sich an „Master Of The Universe„. Bauder hat dem Film nicht nur ein klares, visuell beeindruckendes Konzept zugrunde gelegt, indem er Voss (zunächst namenlos) in ein austauschbares leeres Bankengebäude inmitten der Frankfurter City positioniert. Bauder bemüht weder gängige Medienbilder von wild gestikulierenden Bankern, noch reproduziert er Statussymbole reicher Banker. Hier wird der bewusste Blick Bauders deutlich, der sich immer wieder mit Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen filmisch auseinandersetzt.
Jedes Jahr taucht beim Festival – sei es in den Zuschauerreihen, Filmdiskussionen oder am Rande – die Frage auf, inwieweit ein Dokumentarfilmer ins Geschehen eingreifen darf oder nicht. Mal gibt es aufreibende Auseinandersetzungen zwischen Filmemacher und Publikum wie etwa 2011 bei einem Screening zu „The Vodka Factory„, als der Regisseur es leid war, die Frage nach der zulässigen Inszenierung im Dokumentarfilm ein weiteres Mal zu beantworten. Und natürlich ist die Frage „Wie inszeniert ist ein Dokumentarfilm?“ irgendwie ein alter Schuh. Grit Lemke von der Auswahlkommission hat dennoch festgestellt, dass es bei den diesjährigen Einreichungen einen allgemeinen Trend zu fiktionalen Elementen im Dokfilm gibt. Das äußert sich auf ganz unterschiedliche Weise.