interfilm 2013: Kurzfilm als Event
Momentaufnahmen

Nicht wiederholbar: Bei Sound & Vision interpretieren Musiker Kurzfilme mit ihrem eigenen Sound - und das live! (c) interfilm
Bevor auf der Leinwand der Volksbühne eine einzige Sekunde Kurzfilm zu sehen ist, legt mit MadLick ein merkwürdig gekleidetes Elektro-Dance-Duo mit einer wahrscheinlich ironischen Show los, ehe Moderator Adrian Kennedy (hier ein kurzer Plausch mit Kennedy nach der Show) die Bühne betritt und Festivalleiter Heinz Hermanns zu sich bittet. Nahezu perfekt aufeinander eingespielt führen die beiden mit geistreichem Humor durch das üppige interfilm-Programm, zeigen erste Perlen aus den verschiedenen Wettbewerben, machen sich über das von Spitzeln unterwanderte Spionagenest Berlin lustig und vergessen dennoch nicht den unvermeidlichen Dank an die Sponsoren. Dass Hermanns es sich nicht nehmen lässt, die Show gemeinsam mit MadLick an seiner Querflöte mit einer musikalischen Neuinterpretation des Kurzfilms „The Chick“ des polnischen Regisseurs Michal Socha ausklingen zu lassen, versteht sich fast von selbst.
Die gemeinsame Performance von Festivalleiter und trashigem Elektro-Duo erleben einige Tage später die Besucher von „Sound & Vision“ noch einmal. So nennt interfilm ein Event, bei dem Musiker verschiedenster Stilrichtungen eine eigene Idee entwerfen, wie der auf der großen Leinwand zu sehende Kurzfilm klingen könnte. Das Ganze live und im Graben vor der Bühne. Es entstehen unwiederbringliche, einzigartige Momente, in denen sich künstlerisch entlädt, worauf Filmemacher und Musiker monatelang hingearbeitet haben – und die Zuschauer sehen und hören fasziniert zu. Sie staunen über die Präzision der vielköpfigen Bläserkombo Porn Hipe, die Alba Sueiros futuristischen Raumschiffflug „Stardust“ punktgenau begleiten und wähnen sich dank der cleveren Soundmelange des Ukrainers Younnat mitten in Johannes Salzmanns „Jukebot„. Darin lassen frustrierte Fabrikarbeiter den Hammer fallen, bis der Chef die rettende Idee hat: Eine fette Party im Werk. Younnats Clubtrack, der das Geschehen im Animationsfilm immer wieder mit Hilfe von eingestreuten Sounds aufgreift, dringt mit seinen Samples und Bassbrettern genau so in die Sessel seines Publikums ein, wie in die Fabrik, in der die Arbeiter enthemmt tanzend frische Moral tanken. Grandios.
„Sound & Vision“ entstand im Wissen, dass interfilm „sich immer neu wappnen und nicht zur reinen Abspielstation verkommen darf„, wie Stein sagt. Daher reserviert interfilm „jedes Jahr zehn Prozent des Programms für Experimente, in denen wir Sachen und Formate ausprobieren.“ Dieses Wissen um die Faszination des Events und das Vertrauen darauf hat ganz sicher mit der anhaltenden Begeisterung für „Eject – Die lange Nacht des abwegigen Films“ zu tun. Der durchgeknallte Klassiker unter den interfilm-Events fand zum bereits 16. Mal statt und erfreut sich einer wahren Fanschar. Dieses mehrstündige Programm bricht radikal mit den bekannten Kino-Konventionen. Vor Beginn erhält jeder Besucher eine mit Tröte und Ballons gefüllte Wundertüte. Mit Hilfe derer rufen Moderator Humpert Schnakenberger und sein Side-Kick, Organist Sir Henry ihr Publikum dazu auf, über turmspringende Giraffen, missglückte Geburtstagsüberraschungen und Kung Fu-Babys abzustimmen. Still sitzen und volle Konzentration auf den Screen ist nicht vorgesehen. Die Menge brabbelt unruhig vor sich hin, Abstimmballons sausen durch den Raum, in dem immer wieder Zwischenrufe und mehr oder minder leises Tröten zu hören sind. Es entstehen Abende, die die Besucher in positiver Erinnerung behalten, Kurzfilmabende wohlgemerkt. Es braucht solche unwiederbringlichen Momente, um die Stärken des Kurzfilms ins rechte Licht zu rücken. Mehr davon.
Denis Demmerle