BFF On The Road: Tagebuch zur 71. La Biennale Di Venezia

Der Venedig-Blog 2014


Tag 2: Banalität des Bösen

Joshua Oppenheimer setzt mit seiner Doku "The Look Of Silence" da an, wo sein Berlinale-prämierter Vorgänger "The Act Of Killing" endete. © la Biennale di Venezia

Joshua Oppenheimer setzt mit seiner Doku „The Look Of Silence“ da an, wo sein Berlinale-prämierter Vorgänger „The Act Of Killing“ endete. © la Biennale di Venezia

Überraschenderweise kristallisieren sich bereits am zweiten Tag die ersten Themen heraus: Täter-Opfer-Beziehungen stehen im Fokus. Was sich Berlin im letzten Jahr mit Joshua Oppenheimers eindrucksvoller Dokumentation „The Act of Killing„- der leider nur in der Nebensektion Panorama lief – nicht traute, ermöglicht Alberto Barbera in Venedig. Mit „The Look of Silence“ – einer Art zweiten Teil der Dokumentation über das organisierte und massenhafte Abschlachten (über eine Million Menschen wurden brutal massakriert) der Zivilbevölkerung, der Kommunisten und politisch Oppositioneller im Jahr 1965 in Indonesien – steht der dänische Regisseur mit amerikanischen Wurzeln im Wettbewerb um den Goldenen Löwen.

Weiterlesen: Die Kritik „Massenmord als Theater AG zum Berlinale-Publikumspreis-Gewinner „The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer.

Nicht die Täter, sondern die Opfer kommen diesmal zu Wort, soweit man sie lässt. Denn die Eltern, Kinder oder Geschwister der Getöteten schweigen. Aus Angst. Noch immer sind die Mörder unter ihnen, leben unbehelligt in der Nachbarschaft, prahlen mit ihren Taten in selbst verfassten Büchern oder nachgestellten Szenen, regieren die Kommunen oder das Land Geschichtsbücher feiern sie als Nationalhelden und demokratische Freiheitskämpfer. Sie führten lediglich ihre Order aus, argumentieren sie. Nicht selten lieferten sie dabei sogar Verwandte ans Messer. Moral, Menschlichkeit und Würde sind keine Begriffe, die hier oft Anwendung finden. Ganz zu Schweigen davon, ob die Idee vom Wert eines Menschen überhaupt schon einmal in den letzten 49 Jahren definiert wurde.

Oppenheimer formuliert in „The Look of Silence“ eine zentrale Frage: Wie lebt es sich in dieser menschenfeindlichen Umgebung? Um Antworten zu finden, macht sich der Regisseur auf, zu den Tätern von einst, um nach Moral, Gewissen und Versöhnung zu suchen. Dazu konfrontiert er sie mit ihren Schandtaten, durch Adi. Dessen Bruder Ramli ist eines der bekanntesten Opfer jener Zeit. Adi kam erst zwei Jahre nach dem Mord am Bruder auf die Welt. Auch er ist also ein Opfer. Der Unterschied: Der Mord an Ramli ist das einzige Verbrechen, zu dem es tatsächlich Zeugen gibt.

Was der Dokumentarfilmer in der Begegnung mit dem echten Leben und in vollem Bewusstsein der Gefahren über empathische Kanäle, mit Mitmenschlichkeit und Geduld versucht zu lösen, regelt Filmautodidakt und Regiestar Kim Ki-duk in seinem neuen Spielfilm „One on One„, wie der Titel schon andeutet, lieber Auge in Auge. Der Altmeister der inszenierten Gewalt setzt dabei gern auf schablonenhafte Archetypen, Plattitüden, eine deftige Portion Sadismus, eine Prise lehrmeisterlichen Subtext und dramatische Überinszenierungen. Feinheiten waren noch nie sein Ding. Kims 21. Regiearbeit ist ein zynisches Rachedrama um ein totes Schulmädchen, fünf Männer, die offenbar blind vernichtenden Befehlen folgen und eine selbstgerechte Bürgerwehr. Auch seine Geschichte (Sektion „Giornate degli Autori“) schildert die Begegnung mit Tätern. Allerdings ist seine eine von vornherein geplant unversöhnliche.

Im Wettbewerb: Ramin Bahranis "99 Homes". © la Biennale di Venezia

Im Wettbewerb: Ramin Bahranis „99 Homes“. © la Biennale di Venezia

Und schließlich treibt der zweite amerikanische Wettbewerbsbeitrag „99 Homes“ es auf die Spitze. Ramin Bahrani dreht den Spieß einfach um, macht seinen Protagonisten, selbst ein Opfer der Immobilienblase, zum Täter. Dennis Nash (Andrew Garfield) und sein Mentor, der Immobilienhai Rick Carver (Michael Shannan) haben es auf die harte Tour gelernt und wissen: Jeder ist sich selbst der Nächste, das Leben schenkt dir nichts. Statt auf das Glück zu warten, schrauben sie lieber selbst dran rum und schlachten – ob gewollt oder ungewollt – anderer Leute Not und Leben aus. Ihr Überlebensinstinkt ist animalisch und orientiert sich an dem Motto: Fressen oder gefressen werden.

Das Verstörendste an den drei Filmen ist sicher die Normalität mit der Moral, Menschlichkeit und Würde verlacht werden und die Allgegenwärtigkeit eines Bösen, bei dem Täter, über ihre Taten fröhlich schmunzeln.

Es sind schmerzhafte Filme, die am Lido den Auftakt des Festivals ganz im Existenzialismus verorten. Das Publikum lehren die drei Filme nur eins: „Die Hölle, das sind die anderen.“ (J.P. Sartre)

SuT

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