Interview mit Joshua Oppenheimer zu „The Look Of Silence“

Oppenheimer: Mir wurde sehr häufig mit dem Tod gedroht



Ihre Großeltern stammen aus Deutschland und konnten vor den Nazis fliehen…
Meine Großmutter stammt aus Berlin und mein Großvater aus Frankfurt, meine Stief-Großeltern, um genau zu sein. Sie flohen kurz vor Kriegsbeginn, 1938. Ich weiß mehr von meinen Eltern darüber als von meinen Großeltern. Ich lernte schon über den Holocaust ehe ich „Cinderella“ kannte. Ich näherte ich mich graduell an, da das Thema für ein Kind zu angsteinflößend und nur schwer zu verstehen ist. Aber ich trage in und mit mir, dass eines der wichtigsten Ziele im Leben sein muss, so etwas nicht wieder zuzulassen. Nirgendwo.

Sind Sie deshalb in Indonesien auf Ihr Thema gestoßen?
Ich denke schon, wünsche mir aber, dass es nicht so ist. Ein Verbrechen an der Menschlichkeit ist ein Verbrechen gegen jeden einzelnen von uns. Ein solches Verbrechen sollten wir nicht zulassen – auch wenn unsere eigene Geschichte nichts mit einem Genozid zu tun hat. Mein Eindruck war aber, dass Indonesien von Tätern regiert wird. Das hat die gesamte Gesellschaft in Angst versetzt, gespalten und ausgelaugt.

Wie kamen Sie nach Indonesien?
Ich wollte einen Film über Plantagenarbeiter drehen, die eine Gewerkschaft aufbauen wollten. Die Arbeitsbedingungen waren katastrophal, aber Gewerkschaften waren verboten. Es gab keine Schutzkleidung, aber auf der Plantage wurden so giftige Herbozide versprüht, dass kaum einer der Arbeiter seine 40er überstand. Das erste, was die Gewerkschaft erreichen wollte, war von der Firma Schutzkleidung einzufordern. Die Firma heuerte stattdessen „Pancasila Youth“ an, eine paramilitärische Organisation, um die Arbeiter anzugreifen. Ich fragte mich, warum niemand reagierte oder sich wehrte und erfuhr so von den Gräueltaten. Wie jeder, der Widerstand leistete, von den Herrschenden zum Feind, zum Kommunist erklärt und getötet wurde.
Das war auch ein Verdienst der Propaganda gegen China. Die USA wollten den Aufstieg Chinas verhindern und brandmarkten das Land als kommunistisch. Das war Teil der politische Kalkulation der USA. 50.000 chinesische Indonesier wurden zu kommunistischen Chinesen erklärt, obwohl sie damit überhaupt nichts zu tun hatten. Das war Nonsens, aber im Moment der politischen Hysterie hatte es einen sehr gewalttätigen Effekt.
Die angeheuerte „Pancasila Youth“ war eindeutig der Ansprechpartner für solche Angelegenheiten. In dem Moment fühlte ich, dass meine Freunde nicht nur durch Gift, sondern auch durch Furcht getötet wurden. Das wäre, wie wenn die Nazis gewonnen hätten und der Rest der Welt den Holocaust feiern würde. Furcht findet ihren Weg um die Welt. Nur in wenigen Fällen von Genozid, verlieren die Täter ihre Macht oder Stellung.

Der Einfluss der USA auf den Genozid und Indonesien bleibt im Film außen vor…
Er streift ihn nur am Rande. Meine Filme handeln beide von meinem Blick auf das Indonesien von heute. „The Act Of Killing“ ist ein Film darüber, wie die Täter mit ihren Taten leben können, mit den Lügen, die sie aufrecht erhalten. Ein Film über Schuld. „The Look Of Silence“ zeigt, was mit Menschen passiert, die seit über 50 Jahren in Angst leben. Es geht um deren Schweigen und um all das, was dadurch zerstört wurde – und nicht um das Töten an sich, sondern um das, was ein Leben in Angst mit einem macht.

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