Interview mit Joshua Oppenheimer zu „The Look Of Silence“

Oppenheimer: Mir wurde sehr häufig mit dem Tod gedroht


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Massenmörder iszenieren ihre furchtbaren Taten. Foto: Anonym.


Die wichtigste Person in „The Look Of Silence“ ist Adi. Wie haben Sie ihn gefunden?
Bei meiner Arbeit auf der Plantage bin ich seiner Geschichte begegnet. Er war einer derer, die die Gewerkschaft gründen wollten und lebte nicht weit von da. In einem Radius von 20 Kilometern benutzte jeder seinen Namen als Synonym für den Genozid. Allein in der Region wurde zehntausende Menschen getötet, Adis großer Bruder Ramli ist das eine Opfer, für dessen Mord es Zeugen gab. Alle anderen Familien wussten nicht mit Gewissheit, warum ihre Kinder nicht nach Hause kamen. Ohne Zeugen bleibt da etwas zurück. Dieser Tag war sehr traumatisch, da so viele Menschen verschwanden, aber gleichzeitig niemand trauern konnte oder auch nur über das sprechen konnte, was passiert ist. Aber Ramlis Mord wurde bezeugt, darüber wurde gesprochen, er ist wie ein Beweis für das alles. Das war fast schon ein Akt des Widerstands. Durch den Film verstand ich, warum auch 40 Jahre später immer noch Menschen Angst hatten. Ich lernte Ramlis Familie und bald Adi kennen.

Was für einem Mensch sind Sie begegnet?
Für mich wurde Adi zu Ramli, weil er mir immer so vorgestellt wurde. Adi ist eine unglaublich freundliche Person, intelligent und neugierig. Weil er erst nach den Morden auf die Welt kam, war er nicht auf die selbe Art traumatisiert wie seine Familie. Er versuchte zu verstehen, was passiert ist. Morgens, mittags, abends und nachts fragte er, was mit Ramli passiert sei. Es war wie ein Echo auf das, was in dieser Nacht passiert ist. Er hatte sonst keinen Kontakt zu dem Geschehenen. In der Schule wird aufgrund der Propaganda anderes gelehrt. Die Filme in Adis Schule passen nicht zu dem, was seinem Bruder widerfahren ist. Deshalb muss jedes Kind Indonesiens diese Filme sehen.

Wie kam er ins Zentrum von „The Look Of Silence„?
2012, als ich „The Act Of Killing“ fertig stellte, wusste ich noch nicht, dass Adi mein Protagonist in „The Look Of Silence“ werden würde. Ich wusste nicht mal, dass er mein Haupt-Mitarbeiter wurde. Er sagte, ich habe nun sieben Jahre mit deinen Filmen von den Tätern verbracht. Das hat mich verändert. Ich will die Menschen treffen, die meinen Bruder getötet haben.

Weiterlesen: Unsere Kritik „Massenmord als Theater AG“ zu „The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer.

Es ist unglaublich zu sehen, wie ruhig er denen gegenüber tritt…
Ich sagte, das sei zu gefährlich und dass es noch nie einen Film gab, der Opfer und Täter zusammen brachte, während die Täter noch an der Macht waren. Er erklärte mir, warum ihm das so wichtig ist: Wenn ich zu diesen Leuten gehe, freundlich und wie ein Gentleman, der bereit ist, zu vergeben, dann werden die das begrüßen, als eine lange erhoffte Möglichkeit, diese Angst zurück zu drängen. Sie könnten Frieden schließen mit ihren Nachbarn und deren Familien. Das ist die einzige Möglichkeit, meine Kinder frei von der Furcht zu erziehen, die das Leben meiner Eltern und auch mein Leben zerstört hat. Ich will nicht, dass meine Kinder das als mein Erbe mitbekommen. Das ist die einzige Möglichkeit den Kreis zu durchbrechen.
Das bewegte mich. Durch meine Arbeit an „The Act Of Killing„, der zu dem Zeitpunkt noch nicht aufgeführt wurde, war ich ziemlich berühmt in der Gegend. Ich war sogar in einer Talkshow und kam bis auf die Ebene des Vize-Präsidenten. Adi wollte die regional wichtigen Menschen konfrontieren, die das Gefühl haben mussten, dass ich Kontakte zu ganz oben hätte. Das öffnete Türen und bewahrte uns vor Attacken.

Was war für Sie das Ziel?
Wenn ich all die menschlichen Emotionen transportieren könnte, die frei werden, wenn jemand in einem Raum damit konfrontiert wird, den Bruder des anderen getötet zu haben, wenn ich diese Furcht, diese Schuld und die Furcht vor der Schuld einfangen kann, dann machen wir sichtbar, was die Indonesier von einander trennt. Wie traumatisiert die Gesellschaft ist. So muss in Indonesien die Wahrheit ans Licht kommen. So könnten wir mit dem Film viel mehr erreichen, als mit den einzelnen Konfrontationen zwischen Täter und Opfer.

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