Interview mit Joshua Oppenheimer zu „The Look Of Silence“

Oppenheimer: Mir wurde sehr häufig mit dem Tod gedroht


Joshua Oppenheimer setzt mit seiner Doku "The Look Of Silence" da an, wo sein Berlinale-prämierter Vorgänger "The Act Of Killing" endete. © Lars Skree

Joshua Oppenheimer setzt mit seiner Doku „The Look Of Silence“ da an, wo sein Berlinale-prämierter Vorgänger „The Act Of Killing“ endete. © Lars Skree


Es gibt eine Szene, die Sie als besonders wichtig für Adi beschreiben, die aus dem Film auch stilistisch heraussticht, in dieser irrt Adis alter, kranker Vater durch die eigene Wohnung und findet sich nicht zurecht. Warum war die wichtig?
Mit der Szene überzeugte er mich damals, mich auf die Konfrontationen einzulassen. Als ich sagte, das sei zu gefährlich, sagte er, es gibt ein Tape, das ich dir nie geschickt habe. Er legte das Tape ein und begann beim Zusehen zu weinen. Er erklärte mir, dass diese Bilder den Moment festhalten, in dem sein Vater niemanden mehr erkannte. Nicht seine Frau und auch keines seiner Kinder. Man konnte nichts tun, um ihn zu beruhigen. Für ihn war es schrecklich, aber Adi schnappte sich die Kamera, weil das für ihn der Moment war, an dem es für seinen Vater zu spät war. Er hatte den Mord an seinem Sohn vergessen und vergessen, wie so seine Familie zerstört wurde. Trotzdem hatte er noch Angst, eine Angst, die er nie verlieren würde. Er würde sich nie von dieser Angst freimachen können. Er war gefangen in einem Gefängnis der Angst, eingesperrt, aber ohne Möglichkeit eine Tür zu finden. Darauf sagte Adi zu mir, dass er das seinen Kindern nicht antun will.
Für mich war da klar, dass mein Film nicht nur von dem nebeneinander von Tätern und Opfern handeln wird, nicht nur von Überlebenden und auch nicht nur ein politischer Film sein wird. Er wurde zu einem Film über Erinnerung und Vergessen im Zusammenhang mit Terror. Der Lackmus-Test für mich, ob der Film ein Erfolg ist, war die Aufgabe, diese Szene, die Adi gedreht hat, im Film zur Geltung zu bringen.

Wie konnten Sie die Filme zeigen?
Wir begannen mit geheimen Kino-Vorführungen in Indonesien, weil wir uns vor den Mächtigen dort in Acht nehmen mussten. Wir konnten ihn nicht einfach ins Kino bringen, den dafür hätte er von einer Zensur-Behörde vorab gesichtet werden müssen. Die hätten ihn indiziert und kriminalisiert. Das wäre für die Armee Grund genug gewesen, Vorführungen zu attackieren. So suchten wir Traveller, Filmemacher, VIPs und andere Leute, die sich um den Film kümmerten. Sofort begannen die Medien damit, Spezials zum Film zu produzieren und gingen sehr schnell in die Tiefe, was den Genozid anging. Am 1. Oktober 2012 berichteten die großen Mainstreammedien über den Film – und das noch ehe er gezeigt worden war. Bis zum Start am 10. Dezember 2012 verging kein Tag, an dem der Film nicht Thema gewesen wäre.
Wir verbreiteten ihn, indem wir ihn zum Download ins Netz stellten, wo er millionenfach heruntergeladen wurde. „The Act Of Killing“ wurde sogar für den Oscar nominiert. Es zwang die Leute dazu, zu erkennen, dass das, was 1965 in Indonesien passierte, falsch war. Das es ein Verbrechen an der Menschlichkeit war. Dank „The Act Of Killing“ konnte die Gesellschaft nicht länger ihr größtes Problem ignorieren.

Und das nutzten Sie für „The Look Of Silence„?
In diese Stimmung hinein brachten wir „The Look Of Silence“, der eine riesige öffentliche Premiere feierte. Wir hatten zwei große staatliche Partner, die den Film veröffentlichten. Zur ersten Premiere im größten Kino Indonesiens, in das 1.500 Menschen passen, kamen 3.000. So kam es zu einem zweiten Screening und Adi war bei beiden anwesend. Er wurde mit Standing Ovations gefeiert. Der Film kam mit 500 öffentlichen Vorführungen landesweit allein am ersten Tag heraus, was ein Riesenunterschied zu den 500 Geheimvorführungen ist, mit denen wir „The Act Of Killing“ starteten. Mittlerweile wurde er bei über 3.500 Vorführungen gezeigt und von vielen indonesischen Medien als Film des Jahres gefeiert. Gleichzeitig wurde in Filmklubs und Universitäten eine Extend-Version von „The Act Of Killing“ gezeigt. Er war nicht aufzuhalten, es war nicht mehr möglich, Vorführungen abzusagen. Lediglich 30 mussten ausfallen, was nicht viel ist, aber trotzdem einen Effekt hatte, weil es eine Provokation war. Eine Gruppe von Studenten, die ihn zeigen wollte, wurde angegriffen – aber das rief einen öffentlichen Aufschrei hervor, weil sie nicht verteidigt wurden. Die Studierenden wurden zu Helden und die Strategie der Armee war gescheitert.

Könnten Sie sicher Indonesien bereisen?
Nein, ich würde vielleicht rein kommen, aber nie wieder raus. Da bin ich ziemlich sicher. Mir wurde sehr häufig mit dem Tod gedroht, auch von unglaublich einflussreichen, mächtigen Quellen. Bei einem Talk traf ich einen indonesischen Botschafter und forderte ihn auf, den Film zu zeigen und die Belästigungen zu unterbinden, die meinem anonymem Filmteam widerfahren. Er antwortete nur, dass sich jeder in Gefahr begibt, der nach Indonesien geht. Das sagte er in aller Öffentlichkeit.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

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