Regisseur Thomas Vinterberg zu „Die Kommune“

Vinterberg: "Jeder ist untreu"


Regisseur Thomas Vinterberg im Interview zu seinem Berlinale-Werk "Die Kommune". © Marc Høm & 2016 PROKINO Filmverleih GmbH

Regisseur Thomas Vinterberg im Interview zu seinem Berlinale-Werk „Die Kommune“. © Marc Høm & 2016 PROKINO Filmverleih GmbH

Thomas Vinterberg galt einst als Wunderkind des dänischen und europäischen Films. Mit „Das Fest“ legte er 1998 das erste Werk der legendären „Dogma 95“-Gruppe vor. „Die Kommune“ feierte bei der Berlinale seine Weltpremiere und brachte Hauptdarstellerin Trine Dyrholm einen Silbernen Bären ein. Im Interview geht Vinterberg auf die eigene Jugend in einer Kommune ein, die das Werk inspirierte, erklärt, warum Dogma eine Revolution war und welch wichtige Rolle Alkohol einnimmt.

Herr Vinterberg, „Die Kommune“ lässt sich als eine Hommage an Ihre Vergangenheit interpretieren, in der Sie selbst in einer Kommune lebten. Hat sich der Dreh für Sie nach Kindheit und Nostalgie angefühlt?
Thomas Vinterberg:
Ja, ich habe das genossen. Aber ich finde, ich habe einen recht kontroversen Film gedreht, der thematisiert, wie das Leben in Gemeinschaften in Zukunft aussehen kann. Eine Ebene davon ist sicher tragisch, was das Konzept vom Zusammenleben in Kommunen weniger gut verkauft, als ich hoffte. Ich denke, es könnte eine interessante Alternative sein, wo heute jeder allein lebt und noch nie so viele Menschen alleine waren. Alle beklagen diese Einsamkeit… aber seht her, es gibt einen anderen Weg. Mein Drehbuchautor Tobias Lindholm und ich zeigen die Tragödien genau wie die Schönheit. Es geht darum, wie sich eine Gruppe Individuen im Rahmen einer Kommune verhält.

Was war das Besondere an der Zeit?
Ich vermisse vor allem die ersten Momente der Kommune, wo jeder immer ein wenig angetrunken war, großzügig und jung. Alle fühlten sich ziemlich sexy, weil sie gegen das gängige Wohnen revoltierten. Das hatte 1975 eine ungeheure Anziehungskraft. Damals entschied sich ein Mann – und zwar der Typ mit dem höchsten Einkommen – dafür, anders mit Menschen zusammen leben zu wollen. Zehn Jahre später, 1985, würde der gleiche Typ, der einen Abend mit einem Freund an der Bar sitzt, auf getrennten Rechnungen bestehen, weil er ja nur Mineralwasser getrunken hat und das ja weniger kostet als Bier. Das sind andere Epochen. Das macht mich traurig.

Wie erinnern Sie Ihre Kindheit?
Ich habe es sehr genossen, in dem Haus zu wohnen, solange es ums Teilen ging. Offensichtlich passiert etwas, wenn Leute zusammenziehen. Egal, ob die heiraten oder in eine WG ziehen. Sie hören irgendwann auf, sich Mühe zu geben. Es geht darum, was jeder seiner Umwelt zeigen und was er verbergen will. In einer WG hast du ganz schnell, nach drei Wochen vielleicht, beides. Die Dämonen, die alle in sich tragen, kommen zum Vorschein. Als Kind ist das ziemlich heftig, aber du musst damit umgehen – und zwar sehr schnell.

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War das auch schmerzhaft?
Meine Freunde litten unter der Klaustrophobie ihrer Familien mit diesen Patriarchen an der Spitze. Bei mir war das anders: Meine Eltern waren zwar da, aber eben für alle. In den 70ern wurde viel experimentiert, wie man mit Kindern umgeht. Sie ließen uns laufen, wir konnten tun, was wir wollten. Das machte uns eben auch mit einer Einsamkeit bekannt und mit zu viel Verantwortung – was in der Tat schmerzhaft war. Weniger für mich, mit meinen sehr liebevollen Eltern, aber für einige meiner Brüder und Schwestern der Kommune, die erlebten schwierige Zeiten.

Haben Sie Ihren Eltern den Film gezeigt?
Klar, sie lieben ihn. Sie können es sich leisten, den Film zu lieben, weil sie nichts zu verbergen haben. Ich habe den Film der ganzen Kommune gezeigt, womit aus einer Privatangelegenheit eine persönliche wurde. Die sagten, das ist nicht unsere WG, aber wir erkennen den Geist wieder. Einer sagte: Der Film zeigt echte Gefühle, aber keine wahren Begebenheiten. Das trifft es gut.

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