BFF on the road: Festivalbericht von der 61. Dok Leipzig
Dok Leipzig 2018: Prügel fürs Hirn
Wie mündig ist eigentlich so ein Festivalpublikum? Bedeutet der Kauf eines Tickets für die in diesem Jahr zum 61. Mal ausgerichtete Dok Leipzig automatisch, dass ich bereit bin, mich auf Neues einzulassen und – Gott bewahre – meine Sehgewohnheiten, vielleicht sogar: meine Glaubensgrundsätze grundlegend in Frage zu stellen?
Die schon vor der Premiere von Pablo Ben Yakovs „Lord of the Toys“ (Goldene Taube im Deutschen Wettbewerb) heiß gelaufene Kritik(er)maschine schien sich jedenfalls unsicher zu sein, ob man dem Publikum das freie Denken zumuten könne. Was zu sehen ist: Eine Clique von Dresdner YouTubern, die ihr Geld damit verdienen, dass die Kamera beim Komasaufen, bei der Begrüßungsgeste „Mulm“ (oder auch „Heil Hitler“), beim Fanpost-Auspacken und anderen mehr oder minder spannenden Alltagsfluchten ständig mitläuft. Einfach anzuschauen ist das oftmals sexistische und rassistische Gebaren vermutlich für niemanden – außer die eingefleischten Fans und YouTube-Kanal-Follower. Wenn ein Max Herzberg (der nicht nur laut dem Leipziger Kreuzer eine verdächtige Nähe zur rechtsradikalen Szene unterhält) aggressiv brüllt „We are Nazis and we are proud of it“ (und dann lacht) und die YouTuber im nächsten Moment ihren Kollegen Hector Panzer, einen hart sächselnden YouTuber mit afrikanischen Wurzeln, knuddeln, dann darf und muss das auch jeden Zuschauenden stark verunsichern. Der Regisseur Pablo Ben Yakov bewegt sich mit seinem im dritten Studienjahr an der Filmakademie Baden-Württemberg entstandenen Film schließlich, und das ist das Ungewohnte, irgendwo zwischen Sozialkritik und distanzierter Dokumentation, ganz ohne Voiceover und Kommentar – die Frage, mit wem oder was man es hier zu tun hat, muss man sich selbst beantworten. Ob etwas beispielsweise noch Ironie ist oder schon Beleidigung. Ob man es hier mit völlig entpolitisierten Jugendlichen zu tun hat, der nächsten Generation Nazis oder den Remixern der Zukunft, für die auch der Holocaust einfach nur Material bedeutet – oder ob ein Remixer ohne Materialgewissen vielleicht einfach auch nur ein Nazi ist.
Wenn man es schafft, neben dieser Frage überhaupt noch weitere zuzulassen, drängt sich eine im Besonderen auf: Was bedeutet es, prekär oder zumindest in einer in Pessimismus ertrinkenden Zeit erwachsen zu werden, in der die digitale Welt unmittelbarer und zugänglicher ist als die analoge? Es ist genau diese Selbstbefragung, die „Lord of the Toys“ sehr effektiv provoziert. Die verständliche Sehnsucht der Kritiker*innen des Films, die sich mehr Kontext und kritische Distanz zu den Protagonist*innen gewünscht hätten (oder schlichtweg andere Protagonisten; Stichwort „eine Bühne geben“), sie ist bestimmt auch ein Wunsch nach einer klaren Positionierung der Filmschaffenden – als könnte diese dann dem Zerfliegen der Zustände/Welt und der Uneindeutigkeit unseren alltäglichen Informationsflut kurz Einhalt gebieten. Die alte Sehnsucht nach dem klar erkennbaren Feind. Aber ist es nicht auch eine politische Botschaft, wenn man dem Publikum zutraut, ein Bild als solches zu erkennen?
„Lord of the Toys“ kam nicht allein – im diesjährigen Dok Leipzig-Programm gab es einige Schwer-Verortbare. Einer von ihnen war Lutz Dammbeck, dem die Dok eine extensive Werkschau widmete. Im Fokus: Dammbecks Auf- und Ausbruch aus dem Osten im Kontext kollektiver Widerstandskunst („1. Leipziger Herbstsalon“), seine Animations- und Kurzfilmarbeiten, aber natürlich auch das spätere Werk, darunter „Das Netz“ (2003), der die Korrespondenz/das Manifest des Unabombers Ted Kaczynski zum Anlass nimmt, die Entstehung des Internets und des weltweiten Kommunikations- und Machtnetzes in den Blick zu nehmen sowie sein letzter Film „Overgames“ (2015). Schon im ersten Themen-Projekt, „Herakles Höhle“ (1983-1990), wird dabei deutlich, wie sehr Dammbeck seine Thesen bildlich durchdekliniert – dabei wird Vieles aneinandergereiht und übereinander geschichtet, meist tritt Dammbeck selbst irgendwie in Erscheinung. Seine Thesen sind keine einfachen, oft auch mal steil (Dammbeck wird schon mal gern mit Verschwörungstheoretikern gleich gesetzt), aber der immer wieder formulierte subjektive Gestus „Das ist hier meine Wahrheit“ nebst gefilmtem Selbst macht es im Grunde ständig möglich, das Material und seine Konstruktion zu hinterfragen.