BFF on the road: Festivalbericht von der 61. Dok Leipzig

Dok Leipzig 2018: Prügel fürs Hirn


Im internationalen dokumentarischen Langfilmwettbewerb gewinnt ein Film von Frauen über Frauen die „Goldene Taube“: „I had a dream“. Foto: Dok Leipzig 2018

Dass es jetzt schon anders geht, war in der Reihe „Neue Deutsche Animation“ zu sehen, in der auch die einen Platz bekamen, die bereits das eine oder andere Festival gesehen hatten. Hier stand das provozierend Hybride („Oasis“ von Veneta Androva), neben verstörenden Dystopien mit halb entblößten Müttern („Flut“ von Malte Stein) und Publikumslieblingen („Carlotta’s Face“ von Valentin Riedl und Frédéric Schuld sowie Thanh Nguyen Phuongs „Sorge 87„). Besonders ins Gedächtnis brannte sich Brenda Liens „Call of Comfort“ – der just für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert wurde. Eine feministisch-satirische Kampfansage an die Selbstoptimierung, in der der männliche Blick invertiert wird. Schlüsselszene: Ganz dem „L’Origin du Monde“ nachempfunden, blicken wir auf einen herangezoomten Schoß, die Beine geschlossen. Als sich die Beine wie in Zeitlupe öffnen, wird überraschenderweise der verletzlich wirkende Genitalbereich eines Mannes entblößt – und in der Folge schonungslos mit Enthaarungswachs bearbeitet.

Sezierte Politik Italiens

Passend zu den vielen starken Filmen von Frauen im Animationsbereich wurde auch im internationalen dokumentarischen Langfilmwettbewerb ein Film von Frauen über Frauen mit der „Goldenen Taube“ ausgezeichnet – „I had a dream“. Claudia Tosis feinfühliges Portrait der italienischen Lokalpolitikerinnen und Aktivistinnen Manuela und Daniela fesselt von Minute eins an. Tosi begleitet die zwei unbeugsamen Frauen von 2008 (dem erneuten Wahlsieg Berlusconis) bis 2018 (zwei Jahre nach dem Ernennung Trumps zum amerikanischen Präsidenten) bei ihrem Kampf gegen das erodierende Demokratievertrauen des italienischen, ach was, des europäischen Volkes. Über alle grassierenden Stereotype von Politikerinnen, die gezwungen seien, männlich zu agieren oder ihre weiblichen Reize auszuspielen, sind die zwei – die man vor ein paar Jahren noch als Powerfrauen bezeichnet hätte, bevor das Wort ausgebrannt war – völlig erhaben: Die Krebserkrankung hat hier ebenso Platz wie frustrierte Tränen oder ein elegantes Outfit im Rahmen der vielen Wählergespräche, Demonstrationsmärsche und Stadtratssitzungen. Es ist ein völlig anderer Politikstil, der einen hier in den Bann zieht – einer, der – analog zur schönen Beckermann-Hommage – sich nicht selbstverliebt inszeniert und nicht aufgehört hat, zu fragen, an sich zu zweifeln. Ein Anti-Berlusconismus, der nicht einfach zu leben ist: Als die Regisseurin Tosi (Berlinale Talents 2015 Alumna) gegen Ende des Film das Engagement als Hoffnungsschimmer bezeichnet, schütteln Manuela und Daniela nur mit dem Kopf. Und in der Tat kann der Film gut aus beiden Perspektiven geschaut werden. Die mündigen Festivalbesucher*innen werden es am Ende schon bewerkstelligen, sich selbst ein Urteil zu machen. Ganz sicher. Hoffentlich.

Marie Ketzscher

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