Assange-Film ITHAKA eröffnet 5. Human Rights Film Festival


ITHAKA © HRFFB

Vom 13. bis 23.10 zeigt das 5. Human Rights Film Festival wieder in rund 40 Dokumentarfilmen Geschichten aus allen Teilen der Welt, die mal informativ, mal emotional, mal polarisierend über den aktuellen Stand der Menschenrechte berichten. Das Festival wird in diesem Jahr von Aktion gegen den Hunger in Partnerschaft mit Save the Children und Greenpeace ausgerichtet. Die drei Organisationen setzen dabei mit einer jeweils von ihnen kuratierten Filmauswahl thematische Schwerpunkte zu humanitärer Hilfe und Hungerbekämpfung, Frieden, Schutz der Ressourcen und Umwelt sowie Kinderrechten, Flucht und Migration. Das Programm wird deutschlandweit online als auch offline in sechs Berliner Kinos (ACUDKino, Colosseum, Hackesche Höfe Kino, Kant Kino, Passage Kino, Sputnik am Südstern, Zeiss Großplanetarium) gezeigt. Neben dem umfassenden Filmfokus bietet außerdem das ebenfalls hybrid stattfindende Forum eine interdisziplinäre Plattform zu den Themen Storytelling, Aktivismus sowie Menschenrechte in Form von Konferenzen, Workshops und einer multimedialen Ausstellung.

Das Festival wird prominent besetzt eröffnet: Zum Festivalscreening von Ben Lawrences ITHAKA, der den Kampf um die Freilassung Julian Assanges zum Thema hat, werden neben dem Protagonisten und Vater Assanges, John Shipton, auch Produzent des Films und Bruder Assanges, Gabriel Shipton sowie Stella Assange (vormals Stella Morris) erwartet. BFF-Autor Alexander Wolff hat ITHAKA für uns geschaut und findet: Unbedingt sehenswert, wie ihr hier nachlesen könnt.

Eine Geschichte, die erzählt werden muss

175 Jahre – das ist die Dauer der Gefängnisstrafe, die das US-Justizministerium für Julian Assange einfordert. Assange ist Gründer der Medienplattform Wikileaks. Seit 2006 veröffentlicht Wikileaks Dokumente über Kriegsverbrechen und Korruption. Eines der ersten Videos, das auf der Plattform zu sehen war, zeigt den Angriff eines US-amerikanischen Kampfhubschraubers auf eine Gruppe afghanischer Zivilisten und Journalisten. Mit Hilfe von Whistleblowern wie Chelsea Manning und eines Redaktionsnetzwerks aus Der Spiegel, New York Times und Guardian machte Wikileaks zahlreiche Vergehen der USA und anderer westlicher Nationen bekannt.

Wie das eine – die Gefängnisstrafe für den Aktivisten und Publizisten – mit dem anderen – dem Fehlverhalten von Regierungen – zusammenhängt und welche Implikationen das für die Pressefreiheit hat, davon erzählt der Film ITHAKA des Australiers Ben Lawrence. Er erzählt von psychischer Folter, die keine sichtbaren Spuren hinterlässt. Von einem Exempel, das bewusst vor den Augen der Weltöffentlichkeit statuiert wird. Von Schmierkampagnen und der schwierigen Rolle der Medien in der Verbreitung von Vergewaltigungsvorwürfen und Russlandbeziehungen.

Ein solches Biest von einem Thema kann nicht direkt und abstrakt verhandelt werden. Um Wirkung zu zeigen, braucht es Menschen, an denen sich komplexe Sachverhalte brechen und kristallisieren, es braucht eine dramatische Handlung und erzählerische Perspektive. Darum erzählen wir uns gegenseitig Geschichten. Assange ist eine solche Person, an der Zeitgeschehen sichtbar wird und von der wir uns Geschichten erzählen müssen.

Persönlich kann Assange nicht berichten. Seit 2019 sitzt er im britischen Hochsicherheitsgefängnis HM Prison Belmarsh ein. In Einzelhaft, depressiv, suizidgefährdet. Stattdessen nimmt Lawrence einen Kunstgriff vor. Er folgt dem Menschen, der Assange genetisch, gedanklich und äußerlich am ähnlichsten ist: Assanges Vater, John Shipton. Unterstützt von Assanges Verlobter (Anmerkung Redaktion: inzwischen Ehefrau), Stella Moris, und Assanges Bruder, Gabriel Shipton, der auch Teil des Produzententeams ist, erleben wir den 76-jährigen Shipton bei dessen Bemühungen, seinen Sohn freizubekommen: „A kid is in the shit and needs help“, sagt Shipton über seine Motivation. Shipton spricht fließend Lakonisch. Das wird auch klar, als er von Lawrence zu seinem bis vor wenigen Jahren zerrütteten Verhältnis zu Julian befragt wird.

Lieber lässt Shipton Taten sprechen. ITHAKA begleitet ihn im Jahr 2021 während der Verhandlungen zu Assanges Auslieferung an die USA, wo ihn besagte 175 Jahre Gefängnis im Hochsicherheitstrakt einer berüchtigten Anstalt erwarten. Wir sehen Shipton umringt von Demonstranten außerhalb von Gerichtsgebäuden, bei zahllosen Interviews mit der Weltpresse, taschenbepackt auf Reisen. Und in der Küche daheim, wo er reflektiert. Das kann Shipton. In diesen Gesprächen wird klar, warum die USA nicht die Medienhäuser, sondern die Person Assange attackieren. Warum die Pressefreiheit auf dem Spiel steht, wenn ein Publizist wie Assange angegriffen wird. Während die USA innenpolitisch permanent ihr First Amendment, die Redefreiheit, heraufbeschwören. Hier geht es um Abschreckung. Um Politik, nicht um das Gesetz.

Was wir auch sehen, sind Bilder aus Assanges Leben in der ecuadorianischen Botschaft in London. 2012 beantragt er hier Asyl, um nicht an Schweden ausgeliefert zu werden. Sieben Jahre lebt er in einer kleinen Botschaftswohnung, die er nie verlässt, abgehört und gefilmt von der CIA, wie später bekannt wird. Ecuador gibt Assange 2019 schließlich auf, britische Beamte führen ihn ab.

Letztlich liefert ihn Großbritannien noch nicht aus, auch wenn der High Court dieser Tage über die Wiederaufnahme des Verfahrens – oder bei Ablehnung: über die Auslieferung – entscheidet. Aber das Assange derzeit nicht ausgeliefert wird, hat nichts mit der Unrechtmäßigkeit der US-amerikanischen Vorwürfe zu tun. Stattdessen war dem Richter die Suizidgefahr zu groß. Assange und seine Familie haben gewonnen und zugleich verloren. Auch wenn die Justizbehörden in den USA mit ihrem Antrag scheitern, sind sie die eigentlichen Gewinner. Assange bleibt in Belmarsh in Einzelhaft, wird weiter zermahlen. Der Kampf geht weiter und wird ob der hochgradig fragilen Gesundheit Assanges zunehmend aussichtslos. ITHAKA hat kein Happy End. Gerade deswegen muss die Geschichte erzählt werden, so wie Odysseus beschwerliche Reise, die in Ithaka, seiner Heimatinsel, ihren Ausgang und ihr Ende fand.

Alexander Wolff

Termine beim 5. Human Rights Film Festival Berlin
13.10., 19:30 Uhr, Colosseum (Eröffnungsabend, begrenzte Ticketanzahl)
13.10., 20:00 Uhr, Stream
14.10., 19:30 Uhr, Colosseum
20.10., 17:30 Uhr, Hackesche Höfe Kino