Italienisches Kino im Großformat
Das Italian Film Festival Berlin kehrt vom 8. bis 13. November 2022 zurück
Es ist die 9. Ausgabe des Italian Film Festival Berlin, die vom 8. bis 13. November 2022 in der Hauptspielstätte im Kino in der Kulturbrauerei stattfindet. Auf dem Programm stehen auch dieses Jahr aktuelle Produktionen aus Italien und eine Retrospektive zu einem Altmeister des italienischen Kinos, nämlich Gianni Amelio.
Das Festival knüpft an das Vor-Pandemie-Format an, indem es neben den Filmvorführungen auch ein Konzert organisiert. Vinicio Capossela ist Liedermacher und Schriftsteller und wird am Montag, dem 12. Dezember im Columbia Theater auftreten. Musik spielt im übrigen auch sonst eine wichtige Rolle im Festivalprogramm, da das Italian Film Festival Berlin den Dokumentarfilm von Giuseppe Tornatore über den Filmmusikkomponisten Ennio Morricone präsentiert. ENNIO (10. November um 20 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei) zeigt das Festival in Zusammenarbeit mit dem Berliner Festival Soundwatch – Music Film Festival Berlin (das vom 10. bis 17. November stattfindet.)
Mit diesem versetzten Datum für das Konzert verlängert das Italian Film Festival Berlin die Sichtbarkeit der italienischen Künstler. Deswegen geht auch die Retrospektive mit den sechs Filmen von Gianni Amelia ebenfalls bis in den Dezember und endet am 19. Gezeigt werden Werke, die zwischen 1990 und 2022 entstanden sind, PORTE APERTE ist dabei der älteste Film im Programm, IL SIGNORE DELLE FORMICHE (THE LORD OF THE ANTS) (12. November, Kino in der Kulturbrauerei, in Anwesenheit des Regisseurs) der jüngste. Die Themen des Regisseurs sind immer soziale. Er interessiert sich meist für Einzelpersonen, die mit ihrer Herkunft kämpfen, sich ehrlich durchs Leben schlagen wollen, Ihnen aber die Umstände immer wieder Herausforderungen bereiten, die Übermenschliches von ihnen verlangen. Vielfach geht es in seinen Filmen um das Thema Migration, das sehr eng mit der italienischen Identität verknüpft ist. Die Retrospektive wird zusätzlich zum Kino in der Kulturbrauerei auch im Bundesplatz-Kino, im Klick-Kino und im Il Kino gezeigt.
Wie jedes Jahr ist auch 2022 das Kernstück des Festival sein Wettbewerb, aus dem das Publikum am Ende seinen Favoriten auswählen wird. Zur Wahl stehen insgesamt zehn Langfilme, Spiel- und Dokumentarfilme. Vertreten sind Werke sowohl jüngerer Filmautoren und Filmautorinnen wie auch arrivierterer Namen. Zu letzteren gehört beispielsweise Roberto Andò, sizilianischer Regisseur, der seit den 1980er Jahren als Theaterregisseur aktiv ist und seit Mitte der 1990er Filme produziert. In Berlin wird sein neues Drama IL BAMBINO NASCOSTO (THE HIDDEN CHILD) (11. November 17:30 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei) gezeigt werden, in dem Schauspieler Silvio Orlando in der Rolle eines napoletanischen Professors zu sehen sein wird. Auch in Neapel spielt der aktuelle Film von Mario Martone NOSTALGIA (11. November 20 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei) mit Pierfrancesco Favino als genauso charismatischen Hauptdarsteller.
Zu den jüngeren Positionen gehören ihrerseits Matteo Fresi, der mit IL MUTO DI GALLURA (THE MUTE MAN OF SARDINIA) (12. November 15 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei, in Anwesenheit des Regisseurs) einen ungewöhnlichen Historienfilm präsentiert. Sein Protagonist ist ein stummer Mann, ein Außenseiter, der im 19. Jahrhundert gelebt hat und ein hervorragender Schütze war. Letzteres wird schließlich all denen zum Verhängnis, die ihn einst schlecht behandelt haben. Auch historisch angesiedelt ist die Geschichte eines Mädchens, die Regisseur Giuseppe Bonito inszeniert. Mit L’ARMINUTA (GIRL RETURNED) (8. November 17:30 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei) verfilmt er den gleichnamigen Roman von Donatella Di Pietrantonio, der in den 1970er Jahren in den Abruzzen angesiedelt ist.
Auffällig an der Programmzusammensetzung des Festivals ist eine Überzahl von Werken männlicher Regisseur. Tatsächlich sind neun der Arbeiten im Wettbewerb aus Männerhand, eine von einer Frau. Das könnte nun ein Zufall sein, doch spiegelt es auch ein wenig die (Selbst-)Wahrnehmung des zeitgenössischen italienischen Kinos. Fähige Frauen sind natürlich dennoch auch in Italien in der Regie aktiv, man denke an Laura Bispuri, Alice Rohrwacher, Valeria Golino oder Chiara Bellosi. Hier ist sicherlich noch mehr für ihre Sichtbarkeit zu tun.
Teresa Vena
Aus dem Programm des Festivals stellen wir folgende Titel genauer vor:
FREAKS OUT
Darum geht es:
Eine Gruppe missgestalteter Außenseiter versucht sich in Rom während des Zweiten Weltkriegs durchzuschlagen. Jeder von ihnen hat besondere Fähigkeiten, die sich aber nach der Auflösung ihres Zirkuses weitgehend verstecken, denn die Gesellschaft sieht sie als „Freaks“ und vor allem als Gefahr an. Doch die Umstände erfordern von ihnen, sich der Welt zu stellen und es beginnt ein Kampf für die eigene Emanzipation, aber auch für das Schicksal der ganzen Nation in diesen Zeit des Unfriedens.
Was du zum Film wissen musst:
FREAKS OUT ist der zweite Langfilm von Regisseur Gabriele Mainetti. Er hatte 2018? mit der modernen Superhelden-Mafiageschichte LO CHIAMAVANO JEEG ROBOT einen äußerst vielversprechenden Erstling präsentiert. Darin hatte Claudio Santamaria eine der Hauptrollen übernommen und ist nun auch in diesem Film zu sehen. Auch hier hat er einen verrückten, geltungssüchtigen Gegenpart, der nun von einem Franz Rogowski außer Rand und Band gespielt wird.
Termin beim Italian Film Festival Berlin:
Mittwoch, 9. November 20 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei
PICCOLO CORPO (SMALL BODY)
Darum geht es:
Agata lebt im Friaul um 1900. Sie bekommt ein Mädchen, das aber bei der Geburt tot ist. Da der Priester es nicht rechtzeitig taufen konnte, darf es nicht auf dem Dorffriedhof beerdigt werden. Seine Seele ist damit der Verdammnis geweiht. Um das zu verhindern, packt Agata ihre Tochter in eine Kiste und macht sich auf, zum ersten Mal in ihrem Leben, weg von zuhause, um einen Ort in den Bergen aufzusuchen, an dem Säuglinge nur für einen einzigen Atemzug wieder zum Leben erweckt werden, damit sie getauft und ihre Seelen gerettet werden können. Diese Reise verliert nach und nach ihren ursprünglichen Zweck, vielmehr wird sie für Agata zur persönlichen Emanzipation.
Was du zum Film wissen musst:
Für ihr Spielfilmdebüt hat Laura Samani den David di Donatello, den italienischen Filmpreis, als beste aufstrebende Regisseurin verliehen bekommen. Der Film feierte 2021 seine Premiere in Cannes in der Semaine de la critique und reiste an verschiedene internationale Festivals. Eindrücklich ist die Rekonstruktion des frühen 20. Jahrhunderts und vor allem die Verwendung der spezifischen Sprache der Region Friaul, die sich vom heutigen Italienisch ziemlich abhebt.
Termin beim Italian Film Festival Berlin:
Donnerstag, 10. November 17:30 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei
NOSTALGIA
Darum geht es:
Ein Mittfünzigjähriger kehrt nach etwa 40 Jahren Abwesenheit in seine Heimat Italien und Neapel zurück. Er besucht seine alte Mutter, die kurz nach dem Wiedersehen stirbt. Dennoch will er aber hierbleiben und seine ägyptische Frau nachholen. Doch es gab einen Grund, weswegen er damals Hals über Kopf floh und der holt ihn in der Form seines ehemaligen Jugendfreundes und mittlerweile zum gefürchteten Mafioso herangewachsen ein. Es ist nicht sicher, ob es zu einer Versöhnung kommt.
Was du zum Film wissen musst:
Regisseur Mario Martone wählt für seine Geschichten oft Neapel als Schauplatz. Das ist auch die Stadt, aus der er selbst stammt. Dies Kulisse macht seine Filme von vornherein sehenswert. Martone arbeitet zudem meist mit renommierten Schauspielern in den Hauptrollen. In diesem Fall ist das der charismatische Pierfrancesco Favino, der für die Rolle einen beachtlichen Aufwand betrieben hat, wenn es beispielsweise um den sprachlichen Ausdruck seiner Figur geht.
Termin beim Italian Film Festival Berlin:
Freitag, 11. November 20 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei
IL SIGNORE DELLE FORMICHE (THE LORD OF THE ANTS)
Darum geht es:
In den 1960er Jahren fand in Italien ein spektakulärer Strafprozess statt. Dieser richtete sich gegen den Autor und Dramatiker Aldo Braibanti, dem man des Vorwurfs des „plagio“ beschuldigte. Der Artikel 603 der italienischen Verfassung verstand darunter im wesentlichen körperliche und emotionale Nötigung. Braibanti war homosexuell, was im konservativen, katholischen Italien (noch) unvereinbar mit einem anständigen Leben ist. Im Film geht es um die Vorgeschichte dieses Prozesses und um den Prozess selbst, der einem durch die Sichtweise eines Journalisten vermittelt wird.
Was du zum Film wissen musst:
Inszeniert hat das Drama Altmeister Gianni Amelio, dem das Festival in diesem Jahr eine Retrospektive widmet. Er nähert sich der real existierenden Figur auf recht unemotionale Weise, hält immer eine gewisse Distanz, die einen universelleren Zugang zum Thema erlaubt. Im italienischen Kino ist dies nämlich nach wie vor selten zu sehen. Wäre aber angesichts der anhaltenden diskriminierenden Haltung der Gesellschaft dazu umso notwenig.
Termin beim Italian Film Festival Berlin:
Samstag, 12. November 20 Uhr, Kino in der Kulturbrauerei