Auch das Bett eine Kampfzone: Beobachtungen vom 36. Filmfest Dresden


MAST-DEL © Maryam Tafakory
MAST-DEL © Maryam Tafakory

„We were lying in bed together“ – schon der erste Satz in MAST-DEL sitzt in seiner Einfachheit – und in der vielschichtigen Gedankenspinnerei, die er gleich evoziert. Schließlich arbeitet Tafakory sich seit einigen Jahren an den Geschlechterverhältnissen im Iran ab, deren verzweifelt-brutale Zementierung ein wesentliches Merkmal des iranischen Unrechtsregimes darstellt; ein solcher Einleitungssatz ist da schon eine klare Ansage, das Tabu bewusst nicht zu beachten. Er ist hochpolitisch.

MAST-DEL zieht dann auch seine betörende Kraft aus der sich lediglich auf Texttafeln entspinnenden intimen Konversation zweier Liebhaberinnen (das nächste Tabu) über den traumatischen Effekt von Geräuschen – oder auch Schnee. „Erzähl es mir noch einmal“, erbittet die eine, und die andere erzählt von einem völlig unbedeutenden Date mit zwei Metern Sicherheitsabstand an einem verschneiten Tag, und dem blutigen Ende des Dates durch die Sittenpolizei. Tafakory arbeitet auch hier abermals mit Found Footage aus dem reichen Fundus des iranischen Kinos, aber MAST-DEL ist dennoch ungleich persönlicher. Das liegt daran, dass sie das Material invertiert hat und sich zwischen den Filmausschnitten auch selbst gedrehtes Material befindet. Es ist eine intime Welt, in der die Poren und Gänsehaut in Nahaufnahme auch derselben Hand gehören könnten, die plötzlich die Tür schließt. Wir sind mit im Zimmer, ganz dicht dabei. Die Betroffenheit kann den Raum nicht verlassen.

SENSITIVE CONTENT © Narges Kalhor
SENSITIVE CONTENT © Narges Kalhor

Da es der Iran jetzt erst gerade wieder wegen der Luftangriffe auf Israel, aber auch wegen weiteren geplanten Hinrichtungen in das aufmerksamkeitsökonomische Zeitfenster geschafft hat, ist es wenig überraschend, dass MAST-DEL gleich zweifach beim diesjährigen 36. Filmfest Dresden (16.-21.4.) für seine Klarheit ausgezeichnet wurde („voll politisch“ – Kurzfilmpreis für demokratische Kultur sowie Dresdner Kurzfilmpreis des Verbandes der deutschen Filmkritik), und Narges Kalhor mit ihrem SENSITIVE CONTENT im Nationalen Wettbewerb dazu (Sächsischer Filmförderpreis – Nationaler Wettbewerb). Kalhor nutzt die Sensitive-Content-Einstellungen von Instagram (die durch ein durchgestrichenes Auge dargestellt werden) als visuellen Anker, um eben die Kameralinse unzensiert auf die virtuellen Beweise zu richten, die sich im Social-Media-Zeitalter im Netz gegen das Regime angesammelt haben. Du magst deine ausführenden, oft gesichtslosen Folterer haben, aber wir sehen dich, Staat. Wir sehen dich ganz genau.

Es sind politisierte Auszeichnungen im Rahmen eines sich auch immer schon politisch verstehenden Festivals – in einer Zeit, in der Grabenkämpfe nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch die Feuilletons und Diskurse bestimmen. Schließlich werden Festivals seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg Israels in Gaza, bei dem schon knapp 35.000 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, getötet wurden, mehr denn je nach ihrer Haltung bewertet. Eigentlich nicht überraschend, weil sich Institutionen oftmals für die „gute Sache“ und Menschenrechte aussprechen, und seit Charlie Hebdo auch mit social-media-griffigen, kollektiven Identifikationsformeln (Je suis Charlie) arbeiten, an denen sie nun oft auch gemessen werden. Es werden also Statements verfasst, aber zum Teil auch eingefordert, Boykottaufrufe und offene Briefe entstehen – meist von einer der zwei wahrgenommenen „Seiten“.  Im Gegensatz zu anderen Festivals hat das Filmfest Dresden dieses Thema auch im eigenen Programm angefasst, und zwar mit dem Panel „Cultures of Debate“. Die Diskussionsrunde fragte, wie sich Festivals auch und gerade angesichts des Nahost-Konflikts und den vor allem in Deutschland hart geführten Diskussionen um Antisemitismus auf der einen und Meinungsfreiheit auf der anderen Seite verhalten sollen, können, müssen. Aber natürlich ging es auch um die Grenzen dieser Möglichkeiten, Stellung zu beziehen. Geladen hatte das Festival Niv Fux (Leiter der Leiden Shorts, NL), sarnt utamachote (Filmemacher*in und Kurator*in, zum Beispiel für das Kurzfilm Festival Hamburg), Nicolas Khabbaz (Festivalleiter der Beirut Shorts; Mitglied der diesjährigen Internationalen Jury) sowie Monika Koshka-Stein (Künstlerische Leitung KUKI Festival), die sich in den Grundzügen – ein Festival ist immer politisch, allein durch die Kurator*innen, die das Programm machen – relativ einig waren. Und die einen Aufruf zur Waffenruhe nicht als politisches Statement, sondern Minimalanforderung an Humanität begriffen.

Deplatforming, das Canceln von unliebsamen Meinungen, das Verhaften von Menschen, die Schilder mit dem Satz „Jews against the Genocide“ tragen – dass alles wäre auch von diesem Panel wohl als typisch deutsches (Diskurs-)Verhalten beurteilt worden, das die moralisch-ethischen Kernfragen zu Gunsten von Sprechverboten umgeht. Und weil es sich eben halt auch als deutsche Diskursteilnehmerin nicht ausblenden lässt, dass diese Debattenkultur ja nun mal auch historisch bedingt ist und sich nicht wegdenken lässt, war es gut, vom Festivalpanel diesen Spiegel noch einmal so klar, aber dennoch dialogorientiert entgegen gehalten zu bekommen. Für eine nächste Fortsetzung des Panels – oder einer Satellitenveranstaltung an einem anderen Ort – könnte es dann vielleicht auch spannend sein, die Runde noch ein bisschen heterogener zu besetzen. Schließlich lässt sich ebenfalls fragen, was beispielswiese ein Festival-Statement wert ist, wenn es nur auf externen Druck hin entsteht. Aber als erstes Event zum Thema war es eine beachtliche Veranstaltung, bei der Respekt und Wertschätzung im Vordergrund standen. Das ist ja auch gerade nicht selbstverständlich.

Apropos Haltung: Die große Preisträgerin des Preisverleihungsabends, Maryam Tafakory, war selbst nicht anwesend, um den Award entgegenzunehmen, sondern sendete nur ein Danke per Videobotschaft – und eine Solidaritätsbekundung mit Palästina. Grund dafür ist ihre Unterstützung von #strikegermany, eine Bewegung, die dazu aufruft, deutsche Institutionen zu boykottieren oder ihnen „ihre Arbeit zu entziehen“, bis diese bestimmte Forderungen erfüllen, zu denen beispielsweise die Unterstützung künstlerischer Freiheit und Meinungsfreiheit gehört. Während andere Filmemacher*innen dem Festival jedoch nicht nur die Teilnahme entsagten, sondern auch ihre Filme entzogen (was das Festival auf seiner Programmseite transparent machte – ein weiterer guter Gedanke), entschied sich Tafakory eben für ein überraschendes Sowohl-Als-Auch. Auch wenn das Verfechter*innen einer „klaren Linie“ in Zeiten, in denen alle Haltung zeigen wollen/sollen für Wischiwaschi halten könnten: Dass Tafakory nicht zum Festival reist, aber ihr Film läuft, ist in jedem Fall auch ein Diskursangebot, das die ganzen Ambivalenzen in diesen Zeiten Filme zu machen und sie zeigen zu wollen, abbildet. Es wäre schön, wenn mehr Menschen diese Ambivalenzen weiterhin diskursiv zulassen könnten, auch sie bleiben eine kleine Möglichkeit für den Dialog.