Innovationen für die Masse – Eine Nachlese zu Cast Me In Volume III


Cast Me In 2024 © Anna Spindelndreier
Cast Me In 2024 © Anna Spindelndreier

„Ich frage nur für einen Freund.“ Regisseur Jakob Lass beginnt sein Grußwort im ehrwürdigen Kuppelsaal des Silent Green mit einem Augenzwinkern. „Dieser Freund ist super privilegiert,“ fährt er fort, „hat Freunde mit Behinderungen und möchte, dass sie die Hauptrollen in seinem nächsten Film spielen.“ Seit sechs Jahren arbeite er nun an seinem neuen Projekt und dabei sei ihm „viel Seltsames“ begegnet. Es ist zu vermuten, dass Lass hier von sich selbst spricht, denn es sind immerhin schon vier Jahre seit der Mini-Serie HOW TO DAD vergangen und acht Jahre, seit seinem letzten Kinofilm SO WAS VON DA. Viel Zeit für einen Filmemacher, der in den 2010er Jahren mit FRONTALWATTE, LOVE STEAKS und TIGER GIRL zu einem der größten Hoffnungsträger des deutschen Films wurde. Wie auch immer: das „Seltsame“ von dem Lass hier bei der Eröffnung des dritten Workshop-Events „Cast Me In“ spricht, ist mit Sicherheit kein Einzelfall. Viel Unterstützung habe das neue Film-Projekt erfahren, trotzdem konnte es bisher nicht realisiert werden, weil immer noch an entscheidender Stelle die Meinung herrsche, dass „die breite Masse so etwas doch eigentlich nicht sehen will.“ Die wolle sehen, was sie immer schon gesehen hat, „die gleichen Gesichter, die gleiche Soße.“ Lass kalauert: „Was soll das sein, die breite Masse? Sind die alle dicht?“ Statt auf ein Antwort zu warten, gibt sich Lass optimistisch („Ich bin überzeugt, die meisten wollen Innovation“) und lobt bei „Cast Me In“ folgerichtig nicht in erster Linie den Aspekt der Inklusion, der bei diesem Event selbstverständlich zentral ist. „Hier geht es um Innovation, um das was was Innovation möglich macht: Visionen und Vielfalt.““

„Cast Me In“ fand am 29. September zum dritten Mal statt, zum ersten Mal in Berlin und in Kooperation mit dem Nachwuchspreis First Steps, der einen Tag später ein paar Kilometer entfernt im Theater des Westens verliehen wurde. Initiiert von der Kölner Autorin und ehemaligen Casting-Direktorin Tina Thiele hat „Cast Me In“ es sich zur Aufgabe gemacht, FilmemacherInnen mit Behinderung und EntscheidungsträgerInnen aus der Branche zusammenzubringen. Die Initiative versteht sich zudem als „kreativer Pool für viele weitere marginalisierte Gruppen (wie Menschen, die aufgrund von Alter, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, sexueller Identität und Klassenzugehörigkeit diskriminiert werden).“ Groß war dann auch die Bandbreite, der im silent green angebotenen Workshops. So wurde zum Beispiel ein Vortrag der Initiative „alle körper im film“ von Schauspielerin Monika Oschek durch konkrete Übungen aus der Schauspieltechnik Lucid Body in die Praxis überführt und mit einem Erfahrungsbericht von Schauspielerin Florentine Schlecht ergänzt. Vor ihrem Leinwanddebüt in WAS WIR WOLLEN war Schlecht nicht zuletzt Mitglied im paralympischen Nachwuchskader im Para Ski Alpin.

Cast Me In 2024 © Anna Spindelndreier
Cast Me In 2024 © Anna Spindelndreier


In „Gehört werden – Aesthetic of Access“ dozierten Filmemacher Tobias Lehman und der gehörlose Tänzer und Performer Dodzi Dougban über die Rolle des Deaf Supervisors und die Poesie der Gebärdensprache. Johanna Faltinat und Letícia Milano sprachen über „Sensitivity Scripting – Diversität als dramaturgisches Instrument.“ Dafür, dass die angestrebte Vernetzung von Nachwuchsfilmschaffenden und EntscheidungsträgerInnen gelang, spricht einiges. Fast alle, die für den First Steps Award nominiert waren, nahmen an „Cast-Me-In“-Workshops Teil. So konnte etwa Regisseurin Chiara Fleischhacker in dem Workshop „Barrierefreie Filmfassung – Wie geht das?“ nicht nur mit den Dozierenden Barbara Fickert (Kinoblindgänger gGmbh), Stefanie Georgi (AVÜ – Die Filmübersetzer*innen) und Andres Schüpbach (Greta & Starks Apps GmbH) ins Gespräch kommen, sondern auch mit der Rektorin der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Anna Luise Kiss. Fleischhacker, Absolventin der Filmakademie Baden Württemberg, ist ein Beispiel dafür, dass es zumindest bei Teilen der jungen Generation Überzeugungsarbeit in Sachen Barrierefreiheit gar nicht mehr bedarf. Ihr Drama VENA, das dann auch bei First Steps in der Kategorie Abendfüllender Spielfilm gewann, wird Ende November ins Kino kommen – dass über die App Greta https://www.gretaundstarks.de/greta/movie/136 ) dann auch die barrierefreie Fassung des Films kostenlos verfügbar sein wird, stand bereits vor dem Workshop fest.

Wünschenswert wäre, dass auch bei den Filmfestivals das Bewusstsein für das Thema Barrierefreiheit wächst. Während etwa auf dem Max Ophüls Preis, der Berlinale oder beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen barrierefreie Filmfassungen auch über die erwähnte Greta-App bei ausgewählten Filmen zugänglich gemacht werden, herrscht bei den meisten Festivals noch Nachholbedarf. Zuletzt bot das Human Right Film Festival immerhin die Möglichkeit, für Interessierte eine Übersetzung in Gebärden zu organisieren. Mit vorbildlichem Engagement in Sachen Barrierefreiheit glänzt einmal mehr das Dok Leipzig. Ab dem 28.10. werden dort sage und schreibe zehn Langfilme über die Greta-App mit Audiodeskription zu sehen sein, weitere Angebote mit Gebärdenübersetzung und erweiterten Untertiteln für Hörgeschädigte wird es ebenfalls geben.

Das DOXS Ruhr, das vom 28.10. bis 10.11. Dokumentarfilme für das junge Publikum im Ruhrgebiet zeigt, hat hingegen schon vor 12 Jahren ein spannendes Projekt initiiert, in dem Schulklassen sich mit Audiodeskriptionen auch als Mittel der Filmbildung und für das Training von Wahrnehmungskompetenzen beschäftigen – ganz im Sinne des eingangs zitierten Grußworts, wonach Inklusion auch als Motor für Innovation zu verstehen sei. 

Ob das dritte „Cast Me In“ sich auch förderlich für Projekte wie das des ominösen „Freundes“ von Jakob Lass auswirken wird, bleibt indes abzuwarten. Lass‘ Filmografie gilt es in jedem Fall im Auge zu behalten.

Transparenzhinweis: Unser Autor Ralf Krämer hat Cast Me In als technischer Assistent unterstützt und hat mit Barbara Fickert das Programm des inklusiven Kurzfilmabends „InterVIEWS – Kurzfilme im Barrierefreiheits-Check“ auf dem kommenden Interfilm Festival kuratiert.