Buder: „Im experimentellen Kino ist Slowenien führend, und das eigentlich seit Jahrzehnten“


Kurator Bernd Buder gibt im Interview zu SloVision Einblicke ins Programm, spricht über Brüche der „Wendezeit“ dort und ordnet die Senatskürzungen der Stadt kritisch ein.

SloVision Kurator Bernd Buder
SloVision Kurator Bernd Buder

SloVision ist neu, feiert von 12. bis 15. Dezember 2024 seine erste Ausgabe in Berlin. Lassen Sie uns das namensgebende Wortspiel als Ausgangspunkt nehmen.
Welche Besonderheiten zeichnen das Kino Sloweniens aus?
Bernd Buder:
Ganz neu ist SloVision nicht. Es gab vor einigen Jahren schon mal regelmäßig ein slowenisches Filmfestival in Berlin, und letztes Jahr im November eine slowenische Filmreihe im Kino Arsenal, die, wie SloVision, auch vom Slowenischen Kulturzentrum in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Slowenischen Filmzentrum veranstaltet wurde. Dass das slowenische Kino damit regelmäßig in Berlin zu Gast ist, zeigt schon: dieses Kino hat was. Im Vordergrund steht eine Vielfalt, die so vielfältig ist wie das Land selbst, das ganz unterschiedliche Kulturen – von alpin bis mediterran – in sich vereint. Mich beeindruckt, wie genau slowenische Filmemacher*innen, darunter eben auch viele Frauen, hinschauen, wenn sie ihre Themen untersuchen. Und dabei nie darauf reinfallen, in ‚gut‘ und ‚böse‘ zu unterscheiden. Insofern bleiben sie sehr nah am Mensch-sein, ob es um psychologische Grenzgänge auf Grund schwerer Krankheiten oder politischer Irrwege geht. Beeindruckend, wie ein Film wie BODY den Umgang mit einer tödlichen Krankheit gleichermaßen mit Tiefgang und Leichtigkeit erzählt, oder WAKE ME das Motiv des Gedächtnisverlusts auf originelle Weise benutzt, um von Rassismus und Rechtsextremismus zu erzählen.

Nimmt uns das Programm mit auf eine Reise?
Was erzählen uns die ausgewählten Filme über das Land?

Das war die Idee, auf Reise zu gehen. Dabei erzählen die Filme viel von Herausforderungen, denen man überall im mittleren Europa begegnet: kann man mit seinen Ängsten vor dem Fremden umgehen oder begibt man sich in Selbstisolation? Wie wird aus Verunsicherung Angst, aus Angst Verfolgungswahn? Aus solchen Stoffen werden dann spannende Thriller wie INVENTORY, komplexe Konzeptfilme wie FAMILY THERAPY, formal und inhaltlich hochspannend, oder eine Geschichtsreflexion wie SNATCHED FROM THE SOURCE, die zeigt, wie mit guter Recherche immer noch neue Aspekte der Zeit des Zweiten Weltkriegs auf die Leinwand gebracht werden – müssen. Auf der anderen Seite gibt es dann gut gemachtes Publikumskino wie den Road Movie GEPACK über eine Handvoll Jugendlicher, die aus der Provinz an die Mittelmeerküste zu einem Musikfestival aufbrechen. Authentisch, frisch und unabhängig.

Zur zweiten Worthälfte von SloVision, worin besteht die Vision?
Wohin will das Filmfestival mit seiner Vision?

SloVision will zeigen, wie viel kreative Ideen im slowenischen Kino stecken. Zwischen Blockbuster und Experimentalfilm ist alles möglich. Im experimentellen Kino ist Slowenien führend, und das eigentlich seit Jahrzehnten. Viele Schätze warten hier auf Wiederaufführung, wenn nicht gar Entdeckung. Und dann sind gerade viele interessante Filme in Produktion, hier lohnt es sich, in den nächsten Jahren genau hinzugucken.

SloVision - Slovenische Filmtage Berlin

Welchen Film sollten sich Filmfans auf keinen Fall entgehen lassen?
Das würde ich den Filmfans selber überlassen. Da vom Genrekino bis zum Arthouse viele Stilrichtungen dabei sind, kann man auch mal das gucken, was man sonst eher nicht auf dem Schirm hat. Oder quersichten und sich daran freuen, dass es so eine breit gefächerte Filmlandschaft gibt, in der so vieles nebeneinander möglich ist.

Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens entstanden eigenständige Länder auf dem Balkan. Viele Menschen dort, also auch Filmschaffende, sind also in einem anderen Land geboren als dem, in dem sie derzeit leben – und das ohne die Heimatstadt verlassen zu haben. Eine Erfahrung, die sie mit vielen Menschen dieser Generation in Deutschland und gerade in Berlin teilen. Wirkt diese biografische Erfahrung auf deren Arbeit als Filmschaffende?
Auch die slowenische Gesellschaft ist gekennzeichnet von der Transformation von einem politischen System ins andere, verbunden mit biografischen Brüchen und Herausforderungen. Dazu hat das gesamte ehemalige Jugoslawien den Krieg in den 1990er-Jahren zu verarbeiten, wenn er auch in Slowenien weit weniger folgenreich war als in anderen Teilen dieses ehemaligen Landes. Interessant ist hier nicht nur, dass Menschen, die in einem Land geboren wurden, nun in einem anderen leben, sondern auch Staatsbürger eine gemeinsamen Landes plötzlich zu Ausländern wurden. Etwa die in Slowenien lebenden Bosnier, deren Alltag in WAKE ME eine Rolle spielt. So wirken die Brüche der 1990er-Jahre nicht nur auf die Arbeit von Filmemacher*innen, die vor der „Wendezeit“ und der Zerfallskriegen im ehemaligen Jugoslawien geboren werden, sondern auch auf die, die damals gerade oder später geboren wurden.

Eine Frage zum Kultur-Standort Berlin: Die Senatskürzungen betreffen die Kultur treffen die Kultur überproportional hart. Sorgen Sie sich um die Filmfestivallandschaft?
Was verliert die Stadt durch Entscheidungen wie diese
?
Immer wieder wird Kultur als einer der wichtigsten Standortfaktoren Berlins postuliert. Daher muss die Vielfalt erhalten bleiben, und genauso wichtig ist die Selbstvergewisserungsfunktion von Kulturarbeit – gerade im Überschneidungsbereich mit sozialen Projekten hat Kultur eine partizipative Wirkung. Hier können sich Menschen äußern, deren Erfahrungen und die mit diesen Erfahrungen verbundene Kompetenz oft ignoriert wird. Sie merken dabei, dass sie eine ganze Menge zu sagen haben, was für die ganze Gesellschaft relevant ist. Das wird oft als „Kiezkultur“ ein wenig weggelächelt – auch von Vertretern der sogenannten „Hochkultur“,. Mittlerweile sind das ja zwei pejorativ belastete Kampfbegriffe geworden, die gegenseitig in die „Feldschlacht“ geführt werden, was das genaue Hingucken erschwert. Hier ist beim Sparen, was ja nötig ist, wenn es weniger Geld gibt, mehr Zuhören gefragt und vor allem Nachfragen bei denjenigen, die nicht am lautesten vorpreschen. Dafür muss die Zeit da sein, sonst gehen nicht nur Lebenswerke in die Brüche, sondern das Vertrauen in die gesamte Politik und die Gesellschaft, die dahinter steht.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

SloVision findet von 12. bis 15. Dezember 2024 in Berlin im Kino Sputnis statt.