„Einfach das Ende der Welt“ von Xavier Dolan
Die Stars von „Einfach das Ende der Welt“: Marion Cotillard und Vincent Cassel. © Shayne Laverdière, Sons of Manual
Konflikte im Verborgenen
„Ich verstehe dich nicht, aber ich liebe dich.“, äußert die Mutter Martine (Nathalie Baye), als ihr 34-jähriger Sohn Louis (Gaspard Ulliel) nach zwölf Jahren Abwesenheit zum ersten Mal in sein Elternhaus zurückkehrt. Dieser bedeutungsvolle Schritt hat einen existentialistischen Grund, wie er beim Landeanflug des Flugzeugs aus dem Off mitteilt: Er wird bald sterben. Doch dies weiß seine Familie nicht, als er nach langer Zeit plötzlich vor der Tür steht. Seine Mutter empfängt ihn mit großer Aufregung und textet ihn mit liebevollen Belanglosigkeiten zu.
Sein jüngerer Bruder Antoine (Vincent Cassel) hingegen reagiert abweisend und kommentiert diese Gesprächsversuche mit unverhohlener Ablehnung. Ebenfalls anwesend ist seine jüngste Schwester Suzanne (Léa Seydoux), die wenig sagt und sich gegen ihn abschottet. Warum war Louis so lange nicht mehr dort zu Besuch und hat den Kontakt mit seiner Familie abgebrochen?
Wir können die familiären Bezüge nur indirekt anhand der Dialoge rekonstruieren, wobei vieles unausgesprochen bleibt. Für seine Angehörigen ist er ebenso wie für uns Zuschauer gewissermaßen ein geheimnisvoller Fremder. Er scheint jedenfalls kein Interesse daran zu haben, seinen Lebensweg und seine Motivationen zu teilen. Durch seine Ankunft brechen frühere Konflikte wieder auf und er wird mit alten Vorwürfen konfrontiert. So beschuldigt ihn sein Bruder er habe kein Anrecht darauf, nach all den Jahren zurückzukehren und zu erwarten, dass er mit offenen Armen empfangen werde. Denn Louis habe es nicht einmal als Notwendigkeit erachtet, auf die Einladung zu dessen Hochzeit zu reagieren. Seine Schwester unterstellt ihm hingegen, dass sie nur aufgrund seines fluchtartigen Auszugs noch zu Hause wohnen würde. Verzweifelt versucht die Mutter, es während seines Besuchs allen Recht zu machen.
Aufgrund der sich zuspitzenden Konflikte findet Louis keine passende Gelegenheit, um seine Familie über den Grund des Besuchs und seinen bevorstehenden Tod aufzuklären. Auch seine Erkrankung bleibt unausgesprochen, wobei sie sich auf eindrückliche Weise aus dem Zusammenhang erschließt.