„Virgin Mountain“ von Dagur Kári
Ein Berg voller Unschuld
Fúsi ist Mitte Vierzig, doch seiner Kindheit im Grunde nie entwachsen. Nach wie vor nicht abgenabelt von seiner Mutter, lebt das mittlerweile viel zu schwere Großkaliber noch immer in seinem kleinen, beengten Jugendzimmer. Argwöhnisch wird der scheue, übergroße Mann mit der schütteren Heavy-Metal-Gedenkfrisur und dem blonden Vollbart von Nachbarn wie Arbeitskollegen beäugt und hin und wieder zum Spaß ein bisschen drangsaliert. Fúsi hat sich dran gewöhnt und wehrt sich nie, sondern erträgt es leise. Zuflucht findet er in seinem Hobby, bedeutende Kriegsschlachten in wohnzimmergroßen Modellandschaften mit einem ähnlich geneigten Kumpel, einem Familienvater, nachzubauen. Jede Figur und jedes Objekt wird mit Liebe zum Detail bemalt, ausgestattet und in Szene gesetzt. Das muss endlich anders werden, glaubt der neue Liebhaber seiner Mutter und meldet den sanften und tapsigen Bärenmann kurzerhand zum Line-Dance-Tanzkurs an. Dort trifft er auf eine Art Seelenverwandte.
Vor 15 Jahren entdeckte Regisseur und Drehbuchautor Dagur Kári seinen Hauptdarsteller Gunnar Jónsson in der satirischen TV-Show „Fóstbræður“ und war von dem Laienschauspieler und dessen beseelter und präziser Art offenbar ganz hingerissen. In einem Interview erklärt Kári, dass er sich auf den ersten Blick in die Natürlichkeit des Schauspielers verliebte und sofort in sich den Wunsch aufkeimen spürte, Jónsson in einer dramatischen Hauptrolle zu sehen. Also schrieb er ihm Fúsis Rolle im wahrsten Sinne des Wortes geradezu auf den Leib.