„Saint Amour“ von Benoît Delépine und Gustave Kervern
Delépine und Kervern kennen kein Pardon, wenn es um die schonungslose Darstellung des Hässlichen und Gewöhnlichen geht. Ähnlich wie bei „Mammuth“ ziehen sie auch bei „Saint Amour“ den dokumentarischen Blickwinkel einer perfekt retuschierten Kinoästhetik vor – nicht unbedingt, um einem vermeintlichem Streben nach Realismus Rechnung zu tragen, sondern um Raum für Situationskomik und ehrliche Bilder jenseits des guten Geschmacks zu schaffen. Bilder, die der Zuschauer am liebsten sofort wieder vergessen möchte, aufgrund ihrer liebenswürdigen Schamlosigkeit aber noch lange in Erinnerung behalten wird. Spätestens, wenn Bruno seine 10 Stadien der Trunkenheit rekapituliert und in Rückblenden hemmungslos schreit, heult oder onaniert, mischen sich Fremdscham und Belustigung zu einem merkwürdigen Gefühl der Anteilnahme, das dem Film trotz aller Groteske einen warmherzigen Grundton verleiht.
Es ist das Milieu des einfachen Arbeiters und kleinen Mannes, für das sich Delépine und Kervern offenbar immer wieder begeistern können. Gefangen in ihren tradierten Lebensumständen und ihrer schmerzhaften Durchschnittlichkeit sind Jean, Bruno und Mike auf der Suche nach etwas Größerem, nach jenem fundamentalen Stück vom Glück, das bereits durch den Filmtitel heilig gesprochen wird. Zwischen Alkoholeskapaden, nächtlichem Geschnarche und skurrilen Sexszenen mit unförmigen Männerkörpern umreißt „Saint Amour“ tabulos, derb und dennoch einfühlsam die vielen Dimensionen der männlichen Empfindsamkeit, die ungeachtet von Alter oder Bildungshintergrund eine große Angriffsfläche für tiefgehende Verletzungen bietet. Als unterhaltsames Roadmovie mit Kontrastbildern von idyllischer Landromantik und schwabbeligen Schmerbäuchen ist es die Studie eines äußerst kratzempfindlichen männlichen Egos, das im Angesicht der Liebe oftmals einbricht, am Ende jedoch zu richtig großer Form aufläuft.
Alina Impe
„Saint Amour“, Regie: Gustave Kervern, Benoît Delépine, DarstellerInnen: Gérard Depardieu, Benoît Poelvoorde, Vincent Lacoste, Céline Sallette, Gustave Kervern, Kinostart: 13. Oktober 2016