„Tiger Girl“ von Jakob Lass
Nach „Frontalwatte“ und seinem Überraschungserfolg „Love Steaks“ ist „Tiger Girl“ nun der dritte Spielfilm von Jakob Lass, für dessen Produktion er unter anderem Oliver Berben gewinnen konnte. Während der Arbeit an „Love Steaks“ entwickelte der Regisseur sein Arbeitsprinzip „Fogma“, eine Art programmatische Handlungsanleitung zum improvisierten Spielen und gemeinschaftlichen Arbeiten am Set, bei dem es darum geht, die kreativen Prozesse – also Drehbuch, Produktion, Kamera und Regie – gemeinschaftlich zu konzipieren und improvisatorisch umzusetzen.
Wie schon bei „Love Steaks“ – einer Liebesgeschichte im Ostseehotel zwischen dem schüchternen Masseur Clemens, gespielt von Franz Rogowski („Victoria“), und der extrovertierten Küchengehilfin Lana, gespielt von Lara Cooper („Wir sind die Flut“, „Dieses Sommergefühl“), beide auch im aktuellen Film in einer Nebenrolle zu sehen – arbeitet sich Lass an den charakterlichen Extremen seiner Hauptfiguren ab: Wie bei einem Laborexperiment lässt er hier Maria Dragus als ‚Vanilla the Killer‘ und Ella Rumpf als ‚Tiger‘ als substanziell gegensätzliche Charaktere aufeinanderprallen und beobachtet, ob und wie sich diese aufeinander auswirken. Was bei „Love Steaks“ in einer kindlich leidenschaftlichen Liebesgeschichte endet, wird bei „Tiger Girl“ eine eher explosive Mischung, deren Verlauf vor allem von der großartigen Maria Dragus, bekannt aus Michael Hanekes „Das weiße Band“, als Maggy aka ‚Vanilla the Killer‘ in der Rolle der wahnwitzigen Rebellin without a cause getragen wird.
„Tiger Girl“ setzt von Anfang an auf tempogeladene Dramaturgie und stilisierte Kampfszenen, die Erinnerungen an Computerspiele wie „Street Fighter“ wachrütteln. Die dokumentarische Bildästhetik behält Lass hier größtenteils bei, arbeitet auch wieder viel mit Laiendarstellern und improvisierten Dialogen, wobei die hohe Schnittfrequenz, der elektropoppige Soundtrack und die kreativen Kameraeinstellungen dem Film eine gewisse Comic-Ästhetik verleihen, die sehr viel Spaß macht und von der es gerne noch hätte etwas mehr sein können.
„Tiger Girl“ ist ein Film wie die Faust in der Fresse, er ist das Ventil für die versteckten Aggressionen im großstädtischen Alltag und führt konsequent genau dorthin, wo es richtig weh tut. Vielleicht sogar noch weiter darüber hinaus.
Ob Lass in seinem Wunsch zur Provokation und radikalen Infragestellung unseres alltäglichen Wertesystems, angesichts der im Netz kursierenden Bilder über eine zum Teil erschreckend offen ausgelebte Rohheit und Gewaltbereitschaft an Berlins U-Bahnhöfen hier nicht ein wenig zu gewaltverherrlichend und zu wenig kritisch unterwegs ist, bliebe noch zu diskutieren.
Tatiana Braun
„Tiger Girl“, Regie: Jakob Lass, DarstellerInnen: Ella Rumpf, Maria Dragus, Enno Trebs, Orce Feldschau, Kinostart: 6. April 2017