69. Berlinale: „Fortschritt im Tal der Ahnungslosen“ von Florian Kunert



Im Laufe des Films beobachtet der Zuschauer, wie die beiden Parteien ständig aneinander vorbei reden. Dies verleiht dem Film eine subtile ironische Dimension, wie wenn die Flüchtlinge von ihrer beruflichen Ausbildung erzählen und eine Einheimische sie mit naiver Überraschung kommentiert. Sie will auch wissen, warum sie eigentlich aus Syrien geflohen sind, aber ihr Mann, der Arabisch spricht und übersetzt, empfiehlt, die Frage zu überspringen. Der Film findet zu einer völlig absurden Steigerung, als einige Einheimische drei der Flüchtlinge in Uniformen der DDR-Pioniere stecken und mit ihnen Marschformationen nachspielen oder ihnen Medaillen verleihen. Es scheint, dass sie endlich in diesen Ausländern die Zuhörer gefunden haben, denen sie über den Verfall der alten Zeiten klagen können, bleibt sonst niemand anderes dafür übrig. Die Syrer ähneln Marionetten ohne eigene Identität.
Hier zeigt sich die Parallele zu den öffentlichen Kontroversen über die Flüchtlingsfrage. Wir sprechen meist über Zahlen, über Gruppen, aber selten über Einzelpersonen, außer im Rahmen von kriminellen Fällen.

Die Stärke von Kunerts Dokumentarfilm liegt in seiner präzisen und straffen Form mit recht harten Schnitten und dem Vermeiden von Redundanzen. Der Autor nimmt sich meist zurück und stellt seine Protagonisten in den Mittelpunkt. Er mischt seine Originalaufnahmen mit Archivmaterial aus den 1950er und 1960er Jahren, als die DDR und Syrien eine Partnerschaft auf der Grundlage ihrer kommunistischen Werte gründeten. Eine Euphorie, die heute undenkbar erscheint und die Wankelmütigkeit der menschlichen Natur unterstreicht. Von einem echten „Fortschritt“ kann also nicht die Rede sein, weshalb der Titel des Films als ironisch angesehen werden muss. Neben einer etwas problematischen, aufdringlich inszenierten Episode, in der ein deutsches Paar gebeten wird, ein gerahmtes Bild von Erich Honecker hoch zu halten und sich dazu zu äußern, wirkt der Film sehr authentisch. Es handelt sich nicht um eine Anklageschrift, sondern um einen Versuch, verschiedenen Mentalitäten näher zu kommen. Kunerts ruhige und unaufgeregte Art, die auf eine offene Polemik verzichtet, erweist sich als sehr ansprechend und wird hoffentlich nachhaltig wirken.

Teresa Vena

Fortschritt im Tal der Ahnungslosen„, Regie: Florian Kunert

Termine bei der 69. Berlinale:
Freitag, 15. Februar um 19:30 Uhr, CinemaxX6
Sonntag, 17. Februar um 19:30 Delphi Filmpalast

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