RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH von Andreas Dresen
Humoristisches Armutszeugnis mit dem Vorschlaghammer
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde der in Bremen aufgewachsene türkische Staatsbürger Murat Kurnaz in Pakistan festgenommen und in das US-Straflager Guantanamo auf Kuba überstellt. Ohne Anklage und obwohl der deutsche Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst ihn für unschuldig hielten, blieb er dort bis zu seiner Freilassung im August 2006 unrechtmäßig inhaftiert. Diese realen Ereignisse hat Andreas Dresen, der sich vor allem als Regisseur von gefälligen Publikumserfolgen über menschliche Schicksale in der Bundesrepublik einen Namen gemacht hat, als Ausgangspunkt für seinen Film RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH genommen.
Eine detaillierte Darstellung der komplexen politischen und juristischen Vorgänge und der offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen sind dabei nicht sein erklärtes Ziel. Statt Murats dramatisches Schicksal in Gefangenschaft nachzuvollziehen, wählt er die Perspektive von dessen Mutter Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) und ihrer Familie in Bremen. Die resolute Rabiye mag zwar einfach gestrickt sein, doch sie hat ein dickes Fell und wenn sie ein Ziel im Blick hat, dann geht sie mit dem Kopf durch die Wand. Nach dem Verschwinden ihres Sohnes wendet sie sich an den Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer), vollkommen unbeeindruckt davon, dass dieser anfangs zögert, ihren Fall anzunehmen. Gemeinsam beginnen sie einen fünf Jahre andauernden und häufig aussichtslos erscheinenden Rechtskampf um Murats Freilassung, der sie schließlich bis vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten führt.
Es ist vollkommen legitim, ein dermaßen ernstes Thema in Form einer Komödie wiederzugeben. Adam McKays VICE hat beispielsweise erfolgreich verdeutlicht, dass die Hintergründe des sogenannten „Global War on Terror“ der Bush-Administration noch weitaus skurriler erscheinen, wenn sie als offensive Farce dargestellt werden. Auf ernsthafte Weise versuchten sich im englischsprachigen Raum kürzlich Werke wie THE MAURITANIAN und Paul Schraders THE CARD COUNTER an einer Aufarbeitung der Skandale der jüngeren US-Militärgeschichte, die – wie sich nicht erst im Nachhinein herausstellte – eine wirtschaftliche und ideologische Kriegsführung ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt hat.
In RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH kippt die Tonart durch die von der Komikerin Kaptan gespielte Hauptrolle jedoch immer wieder auf unerträgliche Weise ins Alberne. Vor allem in der ersten Hälfte der Spielzeit gibt es keinen Moment, in dem sie sich nicht an platter Situationskomik versucht oder noch einen Kalauer einschiebt. Ganz egal, ob bei einer Sicherheitskontrolle am Flughafen oder im Supreme Court in Washington, D.C.. Diese krude Mischung aus naivem Humor und ernstem Drama mutet an, als hätte man im Fernsehen wahllos zwischen Tagesschauberichten über Guantanamo und Abu-Ghuraib und dem Quatsch Comedy Club hin- und hergeschaltet. (In letzterem ist Kaptan in der Vergangenheit mit ihrer Stand-up-Routine aufgetreten.) Das ist jedenfalls eine klare Fehlbesetzung der Hauptdarstellerin, weshalb ihre Auszeichnung mit dem Silbernen Bären als beste Schauspielerin bei der 72. Berlinale mehr als fragwürdig erscheint.
Angesichts dieses überbordenden humoristischen Armutszeugnisses mit dem Vorschlaghammer hilft es dann auch nicht mehr, dass das aufwändige Szenenbild die Ästhetik der frühen Nullerjahre punktgenau wiedergibt. Ebenso sorgt die Besetzung der Rolle des Anwalts Bernhard Docke mit Alexander Scheer, der seinem Vorbild hier wirklich zum Verwechseln ähnlich sieht, nur noch für ein paar müde Sympathiepunkte. Somit bleiben die Texteinblendungen über die ungeheuerlichen realen Ereignisse vor dem Abspann und die – für eine auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte fast schon obligatorischen – echten Bilder des über fünf Jahre im rechtlichen Niemandsland festgehaltenen Murat Kurnaz und seiner Mutter am Ende die eindrucksvollsten Momente. Das ist dann allerdings keine inszenatorische Leistung des Films.
Henning Koch
RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH, Regie: Andreas Dresen, Darsteller*innen: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kirik, Sevda Polat, Abdullah Emre Öztürk