75. Berlinale: BLKNWS: TERMS & CONDITIONS von Kahlil Joseph

„Fuck Your Facts.“
Der US-amerikanische Videokünstler Kahlil Joseph hat sich unter anderem mit seinen eindrucksvollen Musikvideos für Flying Lotus und Shabazz Palaces einen Namen gemacht. 2017 plante er das Projekt BLKNWS als Entwurf für eine alternative Nachrichtensendung und entwickelte es zu einer Zweikanal-Videoinstallation weiter, die 2019 bei der Biennale di Venezia uraufgeführt wurde und Journalismus, Kunst und Videoformate kombinierte. „Post-Media“ statt „Post-Truth“. In seinem ersten Langfilm BLKNWS: TERMS & CONDITIONS schließt er daran an und folgt einem assoziativen Stream of Consciousness, ausgehend von der Publikation „Africana: The Encyclopedia of the African and African-American Experience“ (1999), die von W. E. B. Du Bois’ Konzept einer „Encyclopedia Africana“ inspiriert wurde. Anhand von hunderten historischen Fotografien, Fußnoten und Found Footage-Aufnahmen aus Film, Fernsehen und Social Media illustriert er kurze Anekdoten zu den in der Enzyklopädie vorgestellten Persönlichkeiten, Ereignissen und Bewegungen. Diese Collage sei kein Dokumentarfilm, wie eine Einblendung zu Beginn – fast schon als Rechtfertigung – erläutert.
Zusammengehalten wird der lose strukturierte Essayfilm von weiteren eingeblendeten Hinweisen („Memory for Forgetting.“; „Fuck Your Facts.“; „Dark Matter.“…) und einer fiktionalen Rahmenhandlung, die afrofuturistische Geschichten mit historischen Personen und Ereignissen verbindet. Darin erkundet eine Journalistin an Bord des transatlantischen Kreuzfahrtschiffs The Nautica die dort stattfindende Ausstellung „Transatlantic Biennale“. Der Wegbereiter der Harlem-Renaissance W. E. B. Du Bois wird von einem Schauspieler verkörpert und siedelt kurz vor seinem Tod nach Ghana um. Und in einem hypothetischen Gedankenkonstrukt wird den molekularen Überbleibseln der vielen Körpern nachgeforscht, die von den Sklavenschiffen im Ozean versunken sind.
Zwischendurch wird die beinahe erdrückende Informationsflut immer wieder durch Videomontagen zu den Jazz-Kompositionen von Thelonious Monk oder Tracks der Detroit Techno-Pioniere Juan Atkins und Robert Hood aufgelockert, um Raum für Reflexion zu bieten. Und diesen benötigt man als Zuschauer über die fast zweistündige Laufzeit hinweg unbedingt, um Anknüpfungspunkte finden zu können. Schon auf der musikalischen Ebene lassen sich zahlreiche eigene Assoziationen herstellen: von John Akomfrahs experimenteller Doku THE LAST ANGEL OF HISTORY (1996), über Kodwo Eshuns bahnbrechendes afrofuturistisches Manifest „More Brilliant Than The Sun: Adventures In Sonic Fiction“ hin zu Drexciyas Mythologie einer submarinen Zivilisation, deren Herkunft sich auf schwangere afrikanische Frauen zurückführen lässt, die von transatlantischen Sklavenschiffen über Bord geworfen wurden und ertranken.
Die Verwebung der narrativen und dokumentarischen Elemente zeigt Parallelen zu Isaac Juliens Kurzfilm ONCE AGAIN… (STATUES NEVER DIE) über das Vermächtnis des „Dekans der Harlem-Renaissance“ Alain Locke – eine Quasi-Fortsetzung seines Meisterwerks LOOKING FOR LANGSTON (1989) – der bei der 75. Berlinale seine Premiere feierte. Doch BLKNWS: TERMS & CONDITIONS geht auf erfrischende Weise weniger akademisch und didaktisch vor. Statt einer gezielten Aufarbeitung aktueller Thematiken wird eine offene Form gewählt, die keine eindeutige Lesart vorgibt. Ohne klaren Beginn und eindeutiges Ende, vor allem aber ohne Fazit, spiegelt sich hier das Schema der ursprünglichen Videoinstallation wieder. Man könnte sich Kahlil Josephs Reise an jedem Zwischenstopp anschließen und würde die Themefelder im Anschluss am liebsten erneut durchqueren, um neue Horizonte zu erschließen. Weiterführende Quellen: siehe Abspann …
Henning Koch
BLKNWS: TERMS & CONDITIONS; Regie: Kahlil Joseph; Darsteller*innen: Kaneza Schaal, Anas Aremeyaw Anas, Hope Giselle, Shaunette Renée Wilson, Funmilayo Akechukwu
Termine bei der 75. Berlinale
Freitag, 21.02., 12:30 Uhr, Akademie der Künste (AdK)
Samstag, 22.02., 18:30 Uhr, Stage Bluemax Theater