Berlinale-Filmkritik: „DeAD“ von Sven Halfar


Regisseur Sven Halfar erkennt in "DeAD" nicht die Falschheit seiner Figur. Foto: © Frank Linders

Regisseur Sven Halfar erkennt in "DeAD" nicht die Falschheit seiner Figur. Foto: © Frank Linders

Kollektive Verfolgungslust

Dass wahre Liebe, was immer das letztlich auch sein mag, nicht ohne „psychische Abhängigkeit“ denkbar ist und das die Beziehung zu den Eltern oft nicht ganz frei von der „Angst“ ist, sie und vielleicht ja auch sich selbst verlieren zu können, scheint mittlerweile unbekannt zu sein. Die Bundeszentrale für politische Bildung empfiehlt Anti-Beziehungsratgeber wie Christiane Rösingers „Liebe wird oft überbewertet“ und spätestens seither weiß der Heranwachsende nicht nur alles über die zu bekämpfende „romantische Zweierbeziehung“, die „paarnormative Gesellschaft“ und die bösartige „heterosexuelle Zwangsmatrix“, sondern auch über jene Bescheid, die perfiderweise die Liebe über alles stellen.

Regisseur Sven Halfar inszenierte bereits in jungen Jahren Playmobilfiguren, Kuscheltiere und Familienmitglieder zu Filmchen. Mittlerweile liegt die vierte Regiearbeit des Absolventen der Hamburg Media School vor. „Dead“ möchte vieles sein. Französisch im Sinne der Nouvelle Vague. Skandinavisch im Sinne eines Wallander-Krimis. Amerikanisch im Sinne von lässigen Hauptfiguren, die ihre persönlichen Deformationen in einen stilistischen Vorteil verwandeln können. „Dead“ bleibt aber leider sehr deutsch, cineastisch multikulturell, inhaltlich an den Haaren herbeigezogen und insgesamt sehr unentschlossen.

Es geht um Patrick (Tilman Strauß) und sein Leben im coolen Flow. Er ist impulsiv und wenig berechenbar. Nach dem Selbstmord seiner Mutter (Judith Rosmair) will er den Mann stellen, den er für die Tat verantwortlich macht. Vor langer Zeit hatte die Mutter eine Affäre mit einem Frauenhelden, einem gewissen Dr. Borz (Thomas Schendel), der sie nach der einzigen Liebesnacht verließ und seither ignorierte. In kuriosem Übereifer nähert sich Patrick diesem Menschen, seinem mutmaßlichen Vater, der sich längst ein anderes Leben aufgebaut hat – samt attraktiver Gattin, pubertärer Tochter, leicht beschränktem Sohn, alkoholkranker Ex-Frau und übergroßem Aquarium. Ungebeten taucht Patrick beim 60. Geburtstag von Borz auf. Er lässt keinen Zweifel aufkommen, dass allen Beteiligten eine Feier bevorsteht, bei der ihnen Hören und Sehen vergehen wird.

Insgesamt soll es wohl ein Gesellschaftsportrait des Geheuchelten werden. Die Tonspur knarzt und das nächste Tarantino-Zitat ist bereits in Griffweite. Hinter all dem coolen Schnickschnack und dem scheinbaren Angriff auf Heuchelei und Doppelzüngigkeit steckt aber bloß der Impetus, dass die Liebe eliminiert werden muss. Die Gesellschaft braucht doch ihre Ruhe und in dieser Ruhe kann sie nicht auf Widersprüche stoßen. Dafür garantiert sie jedem einzelnen, dass sie sich in ihr so gleich sind, dass sie nur noch ihr die Treue halten müssen. Der lieblose Patrick, Bestandteil einer lieblosen Gesellschaft, erzwingt von Dr. Borz das Bekenntnis zur „richtigen“, kollektiven Schuld, die so lange bestehen bleibt, bis an die Stelle von Dr. Borz ein anderes Objekt kollektiver Verfolgungslust tritt. Leider erkennt Regisseur Sven Halfar nicht die Falschheit seiner Figur und das ist, im Gegensatz zu der ein oder anderen stilistischen Bremsspur, unverzeihbar.

Joris J.